Gestern Abend, im Ersten, nach den Tagesthemen das Wort zum Sonntag. Ich gestehe, normalerweise nicht genau hinzusehen, wenn diese Sendung ausgestrahlt wird. Ein Fehler. Gestern hat mich, der ich nicht Mitglied einer Kirche bin, Monsignore Stephan Wahl mit seinem Wort zum Sonntag in den Bann genommen. “Courage” – so die schlichte Überschrift seines Textes. Für dieses Blog habe ich seinen Schlußsatz als Überschrift übernommen. Hier das vollständige Wort zum Sonntag:
„Was würde Ihr Bruder heute tun?“ Wenn ihr diese Frage gestellt wurde, konnte sie heftig werden. „Eine unsinnige Frage…“ sagte sie dann. Anneliese Knoop-Graf war die jüngere Schwester von Willi Graf. 1943 wurde der 25jährige von den Nazis verurteilt und ermordet. Willi Graf gehörte zur studentischen Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Letzte Woche haben wir nun seine Schwester begraben. Leidenschaftlich erzählte sie immer wieder vom Mut Ihres Bruders und seiner Freunde. Realistisch, ohne zu beschönigen. Sie erzählte auch von dem Unverständnis, das ihr Bruder auslöste. Von der Ablehnung, von dem gut gemeinten Rat, doch den Mund zu halten. Die Zivilcourage ihres Bruders war sein eigener Mut. Ein einsamer Mut. In einer ganz besonderen Zeit, unter unvergleichbaren Umständen. Deshalb regte sich Frau Knoop immer auf über diese Frage: „Was würde Ihr Bruder heute tun?“. Keiner weiß das. Viel wichtiger war ihr die andere Frage: Was kann ich heute tun? Dann wenn es auf mich ankommt… Immer wieder hat sie in ihren Vorträgen Schülern diese Frage gestellt. Zivilcourage ist schön in Spielfilmen, in spannenden Romanen, macht sich so gut in Sonntagsreden. Nur – wenn man selbst gefordert ist? Und zwar dann, wenn man überhaupt nicht damit rechnet? Ohne Vorbereitung? Von jetzt auf gleich? Die Schüler, die in der Ansbacher Schule schnell reagierten, die das Feuer löschten, Hilfe holten – sie hatten diese Courage. Dominik Brunner hat letzte Woche nicht weggeschaut, als Kinder in der Münchner S-Bahn bedroht wurden. Er hat diesen Mut mit seinem Leben bezahlt, auch weil andere dabei wieder mal wegschauten… Jetzt verneigen wir uns vor ihm, hoffentlich ohne still und heimlich zu denken: hätte er sich doch nicht eingemischt… Ihm und allen Mutigen dieser Welt, gelten mein Respekt und mein Gebet. Und auch den vielen mit Courage, von denen niemand weiß. Die Schlimmstes verhindert haben: Unglück, dass nicht bekannt wurde, weil es durch ihr mutiges Handeln eben nicht passierte. Ich bitte Gott um Menschen, die immer wieder solche Zivilcourage zeigen. So wie es ihnen möglich ist, so wie es dann im Ernstfall nötig ist. Sie sind für mich im weitesten Sinne „Heilige des Alltags“. Oder einfacher: Menschen so wie sie sein sollten: eben nicht nur mit dem Blick auf sich selbst. Es ist gut und richtig, Menschen wie Dominik Brunner jetzt als Vorbild posthum zu ehren. Wichtiger ist aber dass das, was er tat, nicht vergessen wird und dass darüber gesprochen wird. Immer wieder. Besonders mit denen, die in diesem Land groß werden. Das ist auch meine Bitte für den Weltkindertag morgen: Dass unsere Kinder Menschen finden, die ihnen helfen selbst Menschen mit Rückgrat zu werden. Damit sie auch einst den Mund aufmachen und eingreifen und beschützen, wenn es auf sie ankommt. Gott selbst behüte sie dabei und bewahre sie vor allen falschen Götzen und selbst ernannten Göttern, vor allen Rattenfängern und den vorschnellen Antworten. Gott wecke in ihnen ein hellwaches Gewissen und lasse sie unverwechselbar sein – mit niemand zu vergleichen. Viel Geduld schenke er ihnen. Mit anderen und mit sich selbst. Aber wenn’s drauf ankommt: dann das richtige Wort und die richtige Tat. „Seid stark und voller Gottvertrauen“ wünschte Willi Graf seiner Familie und seinen Freunden. Sein Glaube gab ihm die Kraft. Diese Kraft wünsche ich uns allen. Ihnen, Ihren Kindern und allen, die zu Ihnen gehören, einen gesegneten Sonntag!