Tag: 18. Februar 2010

“Extremisten der Mitte”

Als “Extremisten der Mitte” bezeichnet Franz Walter, Göttinger Politikwissenschaftler und Parteienforscher, in seiner Analayse in Spiegel Online von heute die FDP. “Die FDP macht sich zum Gespött der deutschen Politik. In elf Jahren Opposition ist sie erstarrt, zu einer verbohrten Steuersenkungspartei geworden. Die Liberalen beharren auf veralteten Positionen – während Union, SPD und Grüne ideologischen Ballast abgeworfen haben. (…)  Die Liberalen haben ihre elf Jahre in der Opposition konzeptionell ungenutzt verstreichen lassen. (…) Die FDP hatte sich im Kern auf das Steuersenkungsdogma reduziert. Sie war wirklich thematisch zur SSP geschrumpft – der Steuersenkungspartei. (…) Merkwürdig – schließlich haben sich seit den späten neunziger Jahren Christdemokraten, Grüne und Sozialdemokraten erheblich gewandelt. Sie haben in viele Positionen revidiert, die lange als unantastbar galten. An allen drei Parteien sind die großen gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte nicht eben spurlos vorrübergegangen. (…) Allein die Freien Demokraten, die Befürworter offener Systeme, die Künder der undogmatischen Flexibilität, die Herolde des empirischen Pragmatismus sind starr in den neunziger Jahren stehengeblieben. Eine Diskussion über die Ambivalenzen entregulierter Märkte? Über Eigenverantwortung ohne Solidaritätsbezüge? Derlei Debatten haben die Freien Demokraten gemieden und stattdessen stets auf ihre verstaubten programmatischen Grundsätze von 1997 hingewiesen, mit der Attitüde: Ihr Liberalismus galt, gilt und wird auch weiter gelten. Der Liberalismus der FDP ist derzeit das einzige dogmatisch angewandte politische Reglement. Die weltanschaulichen Systeme wie der sozialdemokratische Sozialismus, die grüne Politische Ökologie oder der christdemokratisch vereinnahmte Katholizismus haben sich dagegen ihrer orthodoxen Kerne entledigt. Mit dem Eintritt der FDP in die Bundesregierung kehrte ‘ein doktrinäres Element auf die politische Bühne zurück’, wie es schon Mitte Oktober 2009 der Soziologe Wolfgang Engler prognostiziert hatte.” Welch kluges Wort: Extremismus der Mitte.

Fastenzeit

Die FDP legt nach. Der Aschermittwochskrawall geht auch in der Fastenzeit weiter. “Der Wohlfahrtsstaat hat Eigenverantwortung entbehrlich gemacht, Aufstiegswillen gebremst und Mitmenschlichkeit durch anonyme Rechtsansprüche ersetzt – und damit Mentalitäten geprägt. “So Christian Lindner, Generalsekretär der FDP. Wo hat der Wohlfahrtsstaat Eigenverantwortung entbehrlich gemacht? Ist Deutschland ein Land von Schmarotzern, die nur im Sinn haben, andere für sich selbst aufkommen lassen? Wen meint Lindner eigentlich mit seiner infamen Äußerung? Wessen Aufstiegswille ist durch den Wohlfahrtsstaat gebremst worden? Zudem: Was nutzt eigentlich der bestentwickelte Aufstiegswille, wenn die Arbeitsplätze fehlen und Ausbildungsmöglichkeiten, wenn das Bildungssystem versagt? Nicht nur Hartz IV-Empfänger, auch junge Menschen mit ordentlicher Berufsausbildung,  gut ausgebildete Akademiker, Juristen, Ingenieure, Sozialwissenschaftler, finden oftmals keine angemessene Stelle, hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, suchen unentwegt, aber finden nichts. Eine Folge des Wohlfahrtsstaates? Mitmenschlichkeit wird ersetzt durch anonyme Rechtsansprüche. Was will uns der gute Christian Lindner mit dieser Formulierung eigentlich sagen? Wessen Mitmenschlichkeit ist durch die Rechtsansprüche ersetzt worden? Welches Bild hat Christian Lindner denn im Kopf, wenn er solchen Nonsens schreibt? Soll der “anonyme” Rechtsanspruch auf Hilfe etwa durch die milde Gabe Vermögender ersetzt werden? Der Wohlfahrtsstaat hat Mentalitäten geprägt. Welche? Und wessen Mentalitäten? Ich fürchte vor allem die Mentalität der windschnittigen Ellbogenfighter. Denn der FDP-Wirtschaftspolitiker Martin Lindner sagt konkreter, um was es der FDP geht: „Das Verfassungsgericht hat uns die Aufgabe gestellt, die Hartz-IV-Sätze nachvollziehbar neu zu berechnen. Wir führen in der FDP-Fraktion die Diskussion, wie wir dabei die Anreize, in Arbeit zu kommen, stärken.“ Man wolle „Aufstockern ermöglichen, mehr hinzuzuverdienen. Dabei wird auch darüber zu sprechen sein, ob man nicht im Gegenzug die Regelsätze absenken muss, damit Vollbeschäftigte besser dastehen als Teilzeitjobber“, sagte der FDP-Abgeordnete. Aha. Damit ist die Katze endlich aus dem Sack. Die FDP will kürzen. Partout. Bedürftige sollen nicht nur in der Fastenzeit fasten.

Mißbrauch, die nächste

Mißbrauch, die nächste: Wie der WDR meldet, ist es auch im Konvikt St. Albert in Rheinbach und im Vinzenz-Pallotti-Kolleg in den 60er Jahren zu Übergriffen gekommen. Nicht nur die Jesuiten, sondern auch die Pallottiner haben sich also an Kindern und Jugendlichen vergangen und ihre Körper und Seelen geschändet. “Die Gemeinschaft der Pallottiner umfasst 300 Glaubensbrüder und gehört der katholischen Kirche an. Sie unterhält in Deutschland Einrichtungen wie Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und eine philosophisch-theologische Hochschule in Vallendar”, schreibt der WDR auf seiner Homepage. Diese Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen werden zwar von den Pallottinern betrieben, der deutsche Steuerzahler aber gibt das seinige dazu. Skandalös genug. In den Kommentaren zum WDR-Artikel schreibt M.: “Ich selbst war in den 60er + 70er Jahren Schüler eines katholischen Internats in der Eifel. Körperliche Züchtigung, sexuelles Vergehen und psychischer Terror war dort an der Tagesordung. Nach heutigen Maßstäben wären die Patres und Erzieher direkt ins Gefängnis gewandert.” Und Geli kommentiert: “Jetzt weiß ich auch, was dieser unsägliche Mixa mit seiner Aussage gemeint hat. Wenn die sexuelle Revolution nicht gewesen wäre und wir immer noch gläubig und ohne nachzudenken den Pfaffen hinterrennen würden, wäre das Ganze nie ans Licht gekommen und die Rockträger würden den Respekt bekommen, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht.” Den Schändern, Verharmlosern und Verleumdern in der Kirche, sei Psalm 77 ins Stammbuch geschrieben:

Ich rufe zu Gott, ich schreie, ich rufe zu Gott, bis er mich hört. Am Tag meiner Not suche ich den Herrn; unablässig erhebe ich nachts meine Hände, meine Seele lässt sich nicht trösten. Denke ich an Gott, muss ich seufzen; sinne ich nach, dann will mein Geist verzagen. Du lässt mich nicht mehr schlafen; ich bin voll Unruhe und kann nicht reden. Ich sinne nach über die Tage von einst; ich will denken an längst vergangene Jahre. Mein Herz grübelt bei Nacht, ich sinne nach, es forscht mein Geist.

Mir ist nach Speien zumute.