Eine Schule in Wermelskirchen, bennant nach dem großen Pädagogen, Menschenfreund, Sozialreformer und Philosophen Johann Heinrich Pestalozzi. Eine Sonderschule. Und: ein Tatort. Die Tat: Ein Schüler wird von Mitschülern geschlagen, getreten, geschubst. Die Folge: Der mißhandelte Schüler, an Asperger Autismus erkrankt, erleidet Prellungen und entwickelt Ängste. Seine Eltern haben Anzeige erstattet und ihr Sohn geht derzeit nicht in die Schule. Über den Vorfall haben beide lokale Zeitungen ausführlich berichtet. Die Druckerschwärze war noch nicht getrocknet, als schon der krachende Populismus einsetzte: Henning Rehse, Fraktionschef der WNKUWG, will der Erste sein, wie immer, und packt die ganz große Keule aus: Er fordert den sofortigen Schulverweis der jugendlichen Täter. “Solche Täter verdienen keine Kuschelsozialpädagogik oder Antieskalationsstrategien. Sie und mögliche Nachahmer verdienen nur ein ganz deutliches Signal: so nicht und jetzt raus!” Ob in der Pestalozzischule Kuschelsozialpädagogik betrieben wird oder nicht, ob dort Antieskalationsstrategien angewandt werden oder nicht, welche Hintergründe der vorliegende Fall hat, ob Lehrer oder Jugendamt versagt haben oder nicht – das alles ist Henning Rehse vollkommen gleichgültig. Hauptsache, die populistische Keule konnte in Betrieb gesetzt werden. Man möchte Henning Rehse das Wort Pestalozzis zurufen: “Das Wesen der Menschlichkeit entfaltet sich nur in der Ruhe.” Und, so frage ich mich und vor allem Henning Rehse: Wohin soll die Gesellschaft mit Schülern, die von einer Sonderschule verwiesen werden? Was machen wir mit jugendlichen Tätern? Knast? Nochmal Pestalozzi an Henning Rehse: “Man muß das Unglück mit Händen und Füßen, nicht mit dem Maul angreifen.” Die Staatsanwaltschaft wird das Verfahren wohl einstellen, denn der Täter ist ein neunjähriger, also noch nicht strafmündiger Schüler. Interessant wird der Fall wohl nur jenseits des unbedachten Politikertumults. Denn bereits im April, so berichtet die Bergische Morgenpost, habe der Schulamtsdirektor des Rheinisch-Bergischen Kreises, Herbert Schiffmann, in einem Gutachten bekräftigt, daß das jugendliche Opfer einen “Integrationshelfer” benötige, also einen Schulbegleiter. Das Jugendamt aber hat dessen Finanzierung abgelehnt. Jugendamtsleiterin Birgit Ludwig-Schieffers, so wird sie in der Morgenpost zitiert, dürfe über die Gründe aber nichts sagen. Sie sei aber offen für ein Gespräch mit den Politikern, sicherte Ludwig-Schieffers zu. Nun, da der Fall in der Welt ist, in der heilen, idyllischen und bislang gewaltfreien Welt des Bergischen Landes, angeheizt wird durch radikale und unbedachte Äußerungen und Formulierungen der lokalen Politiprominenz, nun wird der Mantel des Schweigens übers Handeln – oder Nichthandeln – der Verwaltung gedeckt. Das kann ja wohl nicht angehen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Die Bürger dürfen erfahren, warum das Jugendamt ablehnt, was das Schulamt des Kreises empfiehlt. “Die allgemeine Schiefheit der Menschen in allen bürgerlichen Verhältnissen und ihre allgemeine Verhärtung im gesellschaftlichen Zustand ist eine Folge der innern Verstümmelung der Naturkräfte.” Na klar, Pestalozzi.
Danke.
..d’accord!
Nein, nein, nicht nachtragend. Aber eine solche Vorlage muß man verwandeln, um ein Bild aus dem Fußball zu verwenden. Und grundsätzlich: Alle Parteien haben so ihre Chemiker. Darüber sollten wir uns immer klar sein, wenn man die Chemiker der anderen als Chemiker kritisiert. Ob die Eltern sich oder ihrem Sohn einen Gefallen getan haben, daran habe ich auch meine Zweifel. Und was das Jugendamt angeht: Dein Argument ist mir durchaus bewußt. Andererseits haben wir ja in der jüngsten Vergangenheit viele Beispiele aus bundesdeutschen Jugendämtern kennengelernt, in denen hinter dem Behördenschweigen fehlerhaftes Verwaltungshandeln verborgen werden sollte. Unser Jugendamt hier muß verantwortlich mit einem solchermaßen veröffentlichten “Fall” umgehen. Aber der “Fall” ist eben auch ein öffentlicher “Fall”, mit den sattsam bekannten Folgen. Also geht es auch um Aufklärung, behutsame, der Öffentlichkeit. Damit es eben nicht nur das Stammtischgeraune gibt.
ach übrigens: Auch mein Kommentar in “Die Dellmänner” wird durch Deinen Artikel hier bestätigt – auch wenn Du das sicher nicht beabsichtigt hast und wahrscheinlich auch anders zu der Sache stehst…
Vielen Dank für die Pestalozzi-Zitate! Vor allem ersteres bringt auch mein Empfinden in der Sache auf den Punkt.
Zu Deinem letzten Absatz allerdings möchte ich eine Lanze für das Jugendamt brechen: Es gibt gerade in dem Bereich Dinge, die nicht an die Öffentlichkeit gehören.
Ich frage mich außerdem, ob es richtig war, den ganzen Fall mit Namensnennung zu veröffentlichen – aber das war ja wohl die Entscheidung der Eltern. Wie soll jetzt der Junge mit dieser ganzen Öffentlichkeit umgehen? Für manche Kinder wäre allein das ein Grund, Angst davor zu haben wieder in die Schule zu gehen…
PS zu Deinem Kommentar zu meinem Kommentar über Chemiker: Du bist schon ein bisschen nachtragend, oder?