Tag: 9. April 2012

Befund

Die Dritten Programme sortieren unsere Welt in Hitparaden. Sie zerlegen sie in ihre Bestandteile, bereinigen sie von komplizierten Zusammenhängen und Kontexten, sortieren sie nach Beliebtheit und lassen sie von Leuten kommentieren, die nichts mit ihnen zu tun haben. Es ist eine Aufgabe, die an Macher und Zuschauer eigentlich nur zwei Ansprüche stellt: Ausdauer und den Mut zur Anspruchslosigkeit. Und so füllen diese Listen-Formate, die aus dem Privatfernsehen eingeschleppt wurden, inzwischen die meisten Dritten Programme und sorgen dort für eine umfangreiche Versteppung. Im NDR, der früh auf dieses Format gesetzt hat, haben sie ihren Höhepunkt inzwischen offenbar überschritten. Aber der WDR, der wie kaum ein anderer öffentlich-rechtlicher Sender weiß, wie man seine Zuschauer unterfordert, hat für diese Monokultur inzwischen breite Schneisen in sein Programm gerodet. Im WDR läuft allein in diesen Tagen: »99 Lieblingsorte in Nordrhein-Westfalen«, »Die 30 tollsten Haus– und Hoftiere«, »Die beliebtesten Bauernhöfe in Nordrhein-Westfalen«, »Die 40 beliebtesten Burgen und Schlösser in Nordrhein-Westfalen«, »Die 40 beliebtesten Ausflugsziele in Nordrhein-Westfalen«, »Die beliebtesten Liedermacher der Nordrhein-Westfalen«, »Die beliebtesten Schlagerduos der Nordrhein-Westfalen« und »Die beliebtesten Schauspieler der Nordrhein-Westfalen«.

Stefan Niggemeier, Medienjournalist, in seinem Blog. Eine genaue Aufstellung auch dort.

Verpackungskünstler

Wolfgang Kubicki, Spitzenmann der FDP in Schleswig-Holstein, beklagt in seiner Wahlkämpfernot, das es wegen “unterirdischer” Kommunikation der Partei gelungen sei, die FDP als “kaltherzig, neoliberal, nicht-mitfühlend darzustellen”. “Dazu haben wir auch einige Gelegenheiten geboten.” Ja, was nun? Der Vorwurf ist also berechtigt? Schön. Gemeinsam mit der Lichtgestalt Christian Lindner will Kubicki nun dafür sorgen, daß “man die FDP neu denken muss”. Auch schön. Aber: “Neu denken bedeutet nicht, den Kurs zu ändern. Aber wir müssen den Menschen unser Programm so erklären, dass sie es verstehen können.” Wie nun? Den Kurs doch nicht ändern? Den alten Kurs beibehalten und nur besser erklären? Den Kurs, den Wolfgang Kubicki zuvor als falsch bewertet hat? Wahlkampf ist die Stunde der Verpackungskünstler. Neu denken, Inhalte überdenken, papperlapapp. Es geht darum, den Wählern etwas schmackhafter zu machen, was bislang verschmäht wird. Eine Mogelpackung wird aufgehübscht. Mehr nicht und nicht weniger. Oder Logorrhoe. Sprechdurchfall.