Monat: August 2012

Demut vor der Heiligkeit des Lebens

“Oft frage ich mich, ob eine Welt vorstellbar ist, die intellektuell reich und emotional befriedigend ist und die ohne jede Religion auskommt. Es wäre eine Welt voller Demut vor der Heiligkeit des Lebens, der Natur und der Kunst, nur eben ohne den Respekt vor einem übernatürlichen Wesen. Die Religion steht im Zentrum der großen Konflikte unserer Zeit. Sie verleitet Menschen dazu, grausame Dinge zu tun. Immer wieder kidnappt die Religion die Moral. Wie destruktiv die Annahme ist, es gäbe ein besseres Leben als dieses! Diese Idee hält Abermillionen in Armut lebende Menschen im Würgegriff.  Menschen wenden sich besonders dem Glauben zu in Zeiten, in denen das Leben schwer ist und die Aussichten schlecht sind. Wer aber auf ein besseres Leben nach dem jetzigen hofft, verliert seine Hingabe an die eigene Existenz. Menschen, die die vergleichsweise flüchtigen siebzig oder achtzig Jahre Lebenszeit als kurzes Aufschimmern von Bewußtsein begreifen in einer riesigen Zeitspanne des Nichts, empfinden eine größere Verantwortung gegenüber ihrer persönlichen Erfüllung.  Tu, was du tun kannst, in der Zeit, die du hast. Gönnen wir uns die Einsicht, wie großartig es ist, daß überhaupt etwas existiert! Daß es etwas so Faszinierendes wie unser Bewußtsein gibt, das nichts anderes ist als ein komplexes Arrengement von Zellen, die uns befähigen, zu begreifen, unsere eigenen Regeln zu schaffen und die Verantwortung für unsere Moral selbst zu tragen. Das Schöne an dieser Sicht der Dinge ist: Die Welt ist so reich wie zuvor! Wir wissen inzwischen einiges über die natürliche Auslese, über zufällige Mutationen, die Auslöschung von Spezies, wir wissen, wie Viren sich wandeln können und wie wir uns als menschliche Wesen entwickelt haben. Diese Entwicklungsgeschichte sollte ein Gefühl von Ehrfurcht auslösen, gerade weil sie sich ohne einen höheren Zweck entfaltet hat.” Ian McEwan, (64) in London lebender Schriftsteller, ausgezeichnet mit dem Somerset-Maugham-Preis

Ergo

Aber, aber Herr Kaiser, was macht Ihr denn da bei der Hamburg-Mannheimer? Oder bei Ergo, wie Ihr Euch neudeutsch nennt. Ergo. Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich. Das große Wort des Philosophen Descartes schimmert irgendwie ja mit durch in Eurem neuen Namen. Ergo bedeutet also folglich, deshalb, mithin, darum, daher, aus diesem Grund. Ergo leitet ergo eine Schlußfolgerung ein. Nur welche? Daß, wer gut arbeitet für das Unternehmen, sich die Sause mit ungarischen Nutten leisten darf? Das war bislang der Stand. Und als das rausgekommen ist damals, daß auf Kosten der Versicherten bei Euch, bei Ergo die Sau rausgelassen worden war, wurde eifrigst beteuert, von Euren Ergospitzenleuten, daß also diese Art der Belohnung bei Ergo nicht mehr vorkommen werde. Und was lese ich jetzt, Herr Kaiser? Nix da mit den richtigen Schlußfolgerungen. Die Spitzendrücker der Versicherung haben eine Ficktour nach Jamaica geschenkt bekommen. Die Versicherten zahlen’s ja. Coito ergo sum. Ich ficke, also bin ich. Was macht Ihr nur mit dem guten alte Descartes? Oder habt Ihr es gar nicht mit dem Philosophen? Sondern eher mit der Ergonomie, der Wissenschaft von der Arbeit, der Arbeitsoptimierung. So gesehen machen der lateinische Name und die Leibesertüchtigungen für Eure Besten vielleicht eher Sinn.

Ozeanische Gefühle

“Es ist absolut möglich, ohne jede Beziehung zum Übernatürlichen zu leben und trotzdem ozeanische Gefühle zu entwickeln: angesichts einer Landschaft, der Pfirsiche von Cézanne  oder der unglaublichen Ekstase frischer Verliebtheit.” Ian McEwan, (64) in London lebender Schriftsteller, ausgezeichnet mit dem Somerset-Maugham-Preis.

In der Regel

“Ohne viele gesunde Familien gibt es letzten Endes keine gute Gesellschaft.” Deshalb sei es richtig, Partnerschaften zu privilegieren, die “in der Regel” Kinder produzierten. So zitiert die Rheinische Post vom 27. August 2012 die Ablehnung des Ehegattensplittings für homosexuelle Lebenspartnerschaften durch den CDU-Fraktionsvorsitzenden im nordrhein-westfälischen Landtag, Karl-Josef Laumann. Sehen wir einmal großzügig davon ab, daß selbst die gesündesten Familien gerade “in der Regel” keine Kinder produzieren.  Aber Nomen est Omen. Der Name ist ein Zeichen, besser übersetzt mit: Der Name ist Programm. Laumanns Name. Lau steht nämlich unter anderem auch für gleichgültig, interesselos, lustlos, teilnahmslos, ungerührt, uninteressiert, unwillig, nicht betroffen, schal, geschmacklos, verschlagen, lasch, fade, lax, widerstrebend, zwiespältig.

Verhältnisse

“Wir leben über unsere Verhältnisse.” Ein Satz, eine Weisheit, eine Behauptung, die nicht nur an den Stammtischen der Republik allenthalben zu hören ist. Wir geben, das suggeriert die Weisheit, mehr Geld aus, als wir haben, und pflegen einen Lebensstil, den wir uns im Grunde nicht leisten können. Wir, das ist der Staat, das ist das Gemeinwesen, also wir alle. Gemeint sind mithin nicht die privaten Ausgaben, sondern die der “öffentlichen Hand”. Kaum jemand, der diese Weisheit verbreitet, meint aber beispielsweise die öffentlichen Ausgaben für die Bundeswehr und ihre Einsätze oder Wirtschaftssubventionen oder die Kosten für die Atomindustrie, für die Sicherheitseinrichtungen im Land, die Polizei oder den Zoll, die Gelder, die für den Straßenbau ausgegeben werden, oder die Lehrergehälter, den Ausbau des Luftverkehrs oder die Kosten, die das Schul- und Bildungssystem verursacht. Nein, meist gedacht und oft auch formuliert wird in diesem Zusammenhang, daß das Sozialsystem zu teuer ist. “Der Sozialstaat ist unbezahlbar”. So das Mantra vieler Wirtschaftsexperten. Da wir alle viel zu viel und viel zu lange Sozialleistungen erhalten und deshalb einen unvorstellbaren Schuldenberg aufgetürmt hätten, befänden wir uns nunmehr auch in der aktuellen Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrise. So beschreibt es Lukas Frühwirt in seinem Beitrag “Die Armen sind Schuld an der Krise”. Die probate Rezeptur lautet also: Den Gürtel enger schnallen, ins Sozialsystem einschneiden, Leistungen kürzen, sparen, Staatsschulden zurückfahren und fürderhin vermeiden. Sozialleistungen, das sind, wie Wikipedia uns lehrt, alle Ausgaben, die der Staat und öffentliche oder halböffentliche Einrichtungen ausgeben für die Behandlung von Krankheiten, Gesundheitsvorsorge und Invalidität, für Alter und Hinterbliebene, Familien und Kinder, für die Folgen der Arbeitslosigkeit, für das Wohnen oder die Vermeidung sozialer Ausgrenzung. Die Sozialquote gibt also an, wie groß der Anteil der Sozialkosten im Jahr gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist. Das Bruttoinlandsprodukt ist der Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen, die von der gesamten Volkswirtschaft im Laufe eines Jahres produziert werden. Vor dreizehn Jahren, 1999, lag die Sozialquote in Deutschland bei 29,5 %, wuchs dann bis zum Jahr 2004 auf 30,7 % leicht an, um im Jahr 2009 auf 28 % zurückzugehen. Im selben Zeitraum sanken die Staatsschulden zunächst geringfügig. Ab 2005 siegen die Schulden stärker an, obwohl die Sozialquote im Jahr 2009 mit 28 % rückläufig war. Die Sozialausgaben können also nicht für den gewaltigen Zuwachs bei den Staatsschulden Deutschlands verantwortlich sein, da die Sozialquote ja in diesem Zeitraum um 2,7% gesenkt wurde. Vergleichbare Daten werden in dem Beitrag von Lukas Frühwirt für Spanien, Österreich oder Großbritannien aufgelistet. Der Befund ist immer wieder der Gleiche: “Die Aussage, dass wir über Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt haben, ist somit falsch. Denn weder lassen sich Sozialquote noch Schuldenquote in einen nennenswerten Zusammenhang bringen. Der Anstieg der Staatsschulden, besonders in den letzten Jahren, ist auf die Wirtschaftskrise und die darin verwickelten Personen und Firmen zurück zu führen. Jedoch nicht auf den Sozialstaat, denn der kann, wie man gesehen hat, durchaus recht kompetent mit den ihm zuteilten Geldern umgehen.” Nett formuliert, Personen und Firmen. Gemeint ist die Finanzwirtschaft, gemeint sind Banken und Bänker, Versicherungen und Hedgefonds. Der Satz von den Verhältnissen, über die wir so lange gelebt haben sollen, kann nicht einmal mit der Weisheit der Binse aufwarten. Er ist und bleibt ein ideologischer Allgemeinplatz und Kampfbegriff und wird nicht richtiger, wenn er von  den Zitadellen des Politikbetriebes in die Redaktionsstuben der Zeitungen diffundiert und von dort aus die Stammtische erobert.

Paraprämien

Von viertausendfünfhundert auf siebentausenfünfhundert Euro hat die deutsche Sporthilfe die Prämien für eine Goldmedaille bei den Paralympics erhöht, dem Weltsportfest der behinderten Sportler in London. Damit bekommen die Gehandicapten die Hälfte dessen, was an nichtbehinderte Sportler während der Olympischen Spiele ausgezahlt wurde. Ist ja auch klar. Die behinderten Sportler haben im Schnitt ja auch weniger Arme und Beine.

Zurechnungsfähig

Zurechnungsfähig. Ein interessantes Wort. Das Nomen ist die Zurechnungsfähigkeit. Und das Gegenteil die Unzurechnungsfähigkeit. Wer zurechnungsfähig ist, ist schuldfähig, kann für seine Taten, sein Verhalten zur Rechenschaft herangezogen werden. Und bei Unzurechnungsfähigkeit kann auf Schuld nicht erkannt werden. Je häufiger ich indes das Wort lese oder schreibe, desto sinnärmer scheint es mir zu sein. Zurechnungsfähigkeit scheint mit Normalität assoziiert zu sein, mit regelhaftem Verhalten, Unzurechnungsfähigkeit mit Abweichung vom Normalen, Verstehbaren, Begreifbaren. Können wir jemanden für zurechnungsfähig halten, für voll nehmen, haftbar machen, der siebenundsiebzig Menschen getötet hat, kaltblütig, planvoll? Können wir einem solchen Menschen die Zurechnungsfähigkeit zurechnen? Haben wir die Fähigkeit, angesichts des verrückt-unvorstellbaren Grauens, das in seinen Taten liegt, und angesichts der monströs-kruden Begründungen, die der Täter nach der Tat lieferte, ihm, dem Täter Eigenverantwortung, Rationalität, Autonomie, Entscheidungsfähigkeit zuzurechnen? Warum eigentlich kann nur jemand Schuld auf sich laden und für diese Schuld auch büßen müssen, der zurechnungsfähig ist? Und inwiefern ist ein Unzurechnungsfähiger schuldlos, nicht zu beschuldigen? Können wir nicht jemanden für unzurechnungsfähig und zugleich schuldfähig halten? Ist jemand zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig, handelt es sich also um eine Eigenschaft, oder hält man jemanden für zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig? Dann handelte es sich um eine Zuschreibung, ein Urteil über jemanden. Die Zurechnung der Zurechnungsfähigkeit liegt bei jenen, die urteilen. Es geht also um unsere eigene Zurechnungsfähigkeit. Von ihr hängt ab, wie viel Eigenverantwortung wir dem anderen zutrauen, wie viel Urteilskraft wir ihm beimessen, wie viel Menschliches wir in seinem Handeln erkennen. Dies heißt, die Zurechnungsfähigkeit existiert nicht einfach, sie ist nicht objektiv vorhanden, sondern direkt abhängig von demjenigen, der sie zurechnet oder nicht. Ich mit meiner Zurechnungsfähigkeit vermag dem Massenmörder keine Zurechnungsfähigkeit zuzurechnen. Diesem Massenmörder in Norwegen nicht, jenen Massenmördern nicht, die mit Bomben, Flugzeugen oder Kriegswaffen die Zivilisation hinter sich lassen. Eine Zuschreibung des Pathologischen, Krankhaften, des Wahn-Sinns, der Verrückt-Heit wäre menschlicher. Und sie läge nicht im Interesse des Täters. Ich weiß es nicht und bleibe ratlos.

Fragen

Ein paar Freunde lesen hier ja bisweilen. Gottlob. Und die möchte ich fragen: Soll ich wieder auf das alte, schlicht-weiße Design umschalten oder das gegenwärtige behalten? Mir hat das alte Outfit gut gefallen, deswegen habe ich ja so lange an ihm festgehalten. Aber ist nicht irgendwann für alles die Zeit des Wandels gekommen? Es wäre schön, hier bald das eine oder andere Urteil lesen zu können. Ist eines der beiden Designs besser lesbar? Welches ist schöner? Soll ich ein anderes Bild in der Kopfzeile verwenden? Oder häufiger das Bild austauschen? Und wenn Ihr Kritisches zu den Artikeln anmerken wollt, her damit …