Am elften Oktober ist es soweit: Dann kann man Helmut Kohls Rückseite lecken. Also nicht direkt seine, sondern die Rückseite einer Sonderbriefmarke, mit der die Leistungen des unrühmlich abgegangenen Ex-Kanzlers gewürdigt werden sollen. Auf der Vorderseite wird neben dem Konterfei des massigen Mannes zu lesen sein: “Helmut Kohl – Kanzler der Einheit – Ehrenbürger Europas“. Tja. Ich werde sie nicht lecken, sondern bei den Online-Briefmarken der Post bleiben. ” Habt ihr die grauenhaften Achtziger alle schon vergessen?” So leitet Gerhard Henschel einen Artikel im Freitag ein, der unter dem Titel “Eine peinliche Qual” an die Amtszeit und das Wirken von Helmut Kohl erinnert. Dort heißt es unter anderem: “Er hatte wahrhaftig von nichts anderem als von der eigenen Machtentfaltung eine Ahnung. Die ‘geistig-moralische Wende’, die er versprach, kulminierte in der energisch durchgesetzten Legalisierung des Privatfernsehens, das uns heute mit gekeuchter Telefonsexreklame und den unsäglich ordinären Rüpeleien eines Dieter Bohlen unterhält. Gesittung, Anstand, Habitus, Moral – all das, worauf das verschollene Bildungsbürgertum einst Wert gelegen haben mochte, wurde von Kohl und den Seinen verramscht, im Tausch gegen Parteispenden, die auf diversen und mitunter, wie man heute weiß, auch krümmsten Wegen zum Schatzmeister der CDU gelangten. Wenn ein Politiker wie Kohl von links gekommen wäre, hätte die konservative Elite allen Grund dazu gehabt, die plumpen Umgangsformen, das tumbe Auftreten, das hilflose Bramarbasieren und die Stillosigkeit zu rügen, die mit Kohl zum Normalfall wurden. Doch das Unbehagen an dem schier endlos erscheinenden Siegeszug des tölpelhaften, bestenfalls viertelgebildeten und nichtsdestoweniger höchst selbstzufriedenen Kleinbürgertums in Gestalt des Kanzlers Kohl wurde nur links von der Mitte laut. ‘Wenn du den Mann im TV siehst oder auch nur im Radio hörst, wird er sofort vollkommen unerträglich’, schrieb der Essayist Michael Rutschky 1987, und man fragte sich, als linksaußenstehender Zeitungsleser, tagtäglich und alljährlich aufs neue, was sich wohl die ausländischen Staatsmänner dachten, die sich von Berufs wegen mit Kohl unterreden mussten, obwohl doch für ihn schon das Deutsche eine Fremdsprache war und alle Sachberater ihre liebe Mühe damit gehabt haben dürften, dem schwerfälligen Kanzler die passenden Stichworte einzuflüstern.” Nein, ich habe die grauenvollen Achtziger nicht vergessen. Und deshalb werde ich nicht lecken. Ich werde sie ignorieren, diese Sondermarke, mit der das Unrühmliche der Kanzlerschaft Helmut Kohls nicht verdeckt werden kann.
Tag: 30. September 2012
Wenn Marketing auf Sprache trifft
Strategisch gut plaziert, vor dem Eiscafe Cordella, parkt ein Kleinwagen der BEW, der Bergischen Energiewirtschaft, an einer Ökostromtankstelle. An sonnigen Tagen wie heute sehen viele Flaneure und Besucher der Außengastronomie das E-Mobil. “Umweltfreundlich fahren mit Ökostrom”, lautet die einladende Losung auf der Fahrertüre. Oder: “Einfach Smart. App laden. Strom tanken.” Nett gemacht das Ganze.
Bis der geneigte Interessent auf den Satz am unteren Rand der Fahrertüre stößt: “Die getankte Menge wird automatisch an uns weitergeleitet. Sie erhalten Quartalsweise eine Rechnung per Post.” Was denn nun? Der frisch gezapfte Strom wird weitergeleitet? An wen? An uns. Also an die BEW. Warum das denn, um Himmels willen? Mit dem Strom soll doch die kleine Karre fahren, oder? Und warum soll der Fahrer eines E-Mobils quartalsweise eine Rechnung bekommen für Strom, der automatisch weitergeleitet wird? Fragen über Fragen. Offenbar haben hier Ingenieure das Marketing betrieben, die vielleicht energiewirtschaftlich überzeugend handeln können, die indes den einen oder anderen Sprachkurs noch ganz gut brauchen könnten.