In der Onlineausgabe des Lokalteils der Bergischen Morgenpost kann man, wenn die Redaktion das einrichtet, als Leser seinen Kommentar zu einzelnen Beiträgen abgeben. Das ist wohl als interaktives Beteiligungsverfahren gedacht, als Tribut an die vielfältigen Möglichkeiten des Internets, als Möglichkeit, Leser über ihre eigene Aktivität, ihr Mitmachen und ihre Bewertungen an den Lokalteil und die Zeitung zu binden, den Kommentierenden womöglich als Abonennten zu gewinnen. Der kommentierende Leser liefert der Redaktion so ein unmittelbares Feedback. Die Redaktion, sollte man als unbedarfter Leser der Zeitung annehmen, folgt mit der Möglichkeit von Leserkommentaren einem durchdachten Konzept. Sie fungiert als Moderator der Kommentarspalte, garantiert eine gewisse Text- und Inhaltsqualität, verhindert, daß es auf ihrer Seite zu ähnlichen, nicht nur sprachlichen, Entgleisungen kommt, wie wir das aus einer Reihe von sozialen Netzwerken bereits kennen, und gestaltet, ordnet, erläutert und korrigiert den Reigen der Leseräußerungen. Die Auswertung der Kommentare, der Themen, der Positionen, des sprachlichen Niveaus liefert der Redaktion Hinweise und Informationen über den Online-Leser, das ach so unbekannte Wesen, seine Vorlieben und Merkmale, seine Einstellungen oder Sympathien, und kann mithin helfen, die redaktionelle Linie abzusichern, zu verändern, zu konturieren. Online-Leserkommentare sind, so verstanden, ein wertvoller und nicht zu unterschätzender Input in die Redaktion. So sollte man meinen. Allein: Die Wirklichkeit ist, wie meist, viel profaner. Profan, welch schönes Wort. Zunächst bedeutet es ungeheiligt, vor dem Heiligen, weltlich, wird aber heutzutage meist im Sinne von alltäglich, banal oder trivial verwendet. Also, noch einmal: Die Online-Leserkommentare der Bergischen Morgenpost folgen keinem Konzept, keiner klugen Idee der Zeitungsmacher. Die Kommentarspalte wird nach Gusto eingerichtet, wie’s gerade paßt. Mal ja, mal nein. Mal ist Leserbeteiligung gefragt, mal nicht. Wer gerade den Hut aufhat in der Redaktion. So trivial ist die Redaktionswirklichkeit, so banal, so simpel. Kein Konzept, keine übergeordnete Idee, keine Vorstellung von Stilfragen oder Niveauvorgaben, keine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Leserkommentare, keine Einordnungen. Kommentare werden beispielsweise gelöscht mit einem dürren Verweis auf die Kommentarregeln, die natürlich wiederum an anderer Stelle zu finden sind. Kein Hinweis an die Leser, inwiefern der Inhalt des Kommentars nicht mit der Redaktionslinie übereinstimmt. Auch keiner darauf, daß etwa die sprachliche Ebene des Textes der Redaktion nicht genügt. Einfach gelöscht. Von wegen Moderation der Kommentarspalte. Die Redaktion hat mit Moderation nichts am Hut. Die Leser sollen kommentieren. Sonst nichts. Basta. Dann wird gelöscht oder nicht gelöscht. Je nachdem. Auf keinen Fall aber wird erklärt, erläutert. Wo kämen wir denn auch hin, machte die Redaktion ihr Handeln verständlich? Ganz konkret. Die Morgenpost hat am fünfundzwanzigsten November einen Beitrag veröffentlicht, der über die Absicht einer Kirchengemeinde berichtet, am Jahrestag der Abschiebung einer Bürgers dieser Stadt erneut eine Mahnwache vor dem Rathaus durchzuführen. Und die Redaktion hat die Online-Kommentarfunktion geöffnet. Über den Kommentar eines Lesers, der, in fehlerhaftem Deutsch, Asylanten schlechthin zu Kriminellen und Betrügern erklärt, entspann sich eine rege Kommentardebatte, in deren Verlauf die Redaktion vier Kommentare mit dem oben beschriebenen Hinweis löschte. Die Kommentare sind in ihrer Folge nun nicht mehr wirklich zu verstehen. Mehr noch. Mittlerweile hat die Redaktion alle Kommentare gelöscht. Ohne jeden Hinweis. Ohne jede Erklärung. Wer im Online-Archiv der Bergischen Morgenpost nach diesem Beitrag und den Kommentaren sucht, findet nur noch den Beitrag. Der aktive Leser, der der Aufforderung der Redaktion nachkommt und einen Kommentar zum Beitrag schreibt, kann sich nur düpiert vorkommen. Lesermißachtung. Erst soll er schreiben. Dann, nach kurzer Zeit, sind alle Kommentare verschwunden. Auch die, die nicht gegen die Kommentarregeln verstoßen. Welch ein Irrsinn. Welch ein unbedachter Umgang mit dem Leser. Qualitätsjournalismus.