“Wenn man das Abendland nur verteidigen kann, indem man menschenfeindliches Gedankengut vor sich herträgt, was gibt es dann eigentlich noch zu verteidigen?”
Claus von Wagner, Die Anstalt, ZDF, 09.12.2014
Vollkommen Subjektives von Wolfgang Horn
Hasta Siempre, Commandante
Refrain
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei Dir immer durchsah
Und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
Comandante Che Guevara
Sie fürchten Dich, und wir lieben
Dich vorn im Kampf, wo der Tod lacht
Wo das Volk Schluß mit der Not macht
– Nun bist du weg – und doch geblieben
Ref: Uns bleibt, was gut war und klar war…..
Und bist kein Bonze geworden
Kein hohes Tier, das nach Geld schielt
Und vom Schreibtisch aus den Held spielt
in feiner Kluft mit alten Orden
Ref: Uns bleibt, was gut war und klar war…..
Ja, grad die Armen der Erde
Die brauchen mehr als zu fressen
Und das hast Du nie vergessen
Dass aus den Menschen Menschen werden
Ref: Uns bleibt, was gut war und klar war…..
Der rote Stern an der Jacke
Im schwarzen Bart die Zigarre
Jesus Christus mit der Knarre
– so führt Dein Bild uns zur Attacke
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei Dir immer durchsah,
Und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah,
Comandante Che Guevara!
Wir sind das Volk. Wir? Die fünfzehntausend “patriotischen Europäer“, die allmontaglich gegen die “Islamisierung des Abendlandes” in Dresden spazieren? Die achtzig Kassler “Patrioten”? Die Mannheimer Hundert? Die Bonner Zweihundertschaft der PEGIDA? Die paar hundert aus Bochum? Nein! Ihr seid nicht das Volk. Das Volk sind wir alle, die mehr als achtzig Millionen Menschen in dieser Republik. Ihr seid ein paar fehlgeleitete Angsthasen im Tal der Ahnungs- und Muslimlosen mit nationalistisch verengtem Weltbild, sozusagen einer Cerebralphimose. Ihr zelebriert fremdenfeindliche Furcht dort, wo es an Fremden mangelt. Das Volk aber “besteht aus Panajotis, Mohamed, Ivan, Miroslav, Franz, Fatima, Ignaz, Maria und all den anderen Persönlichkeiten die dafür Sorge tragen, daß Ihr….die Ihr Zeit habt Montags zu demonstrieren eure Rente oder Stütze pünktlich bekommt, damit Ihr gegen diese Menschen demonstrieren gehen könnt. Ein Drittel dieser Menschen mit Migrationshintergrund, die es noch nie leicht hatten in diesem Land haben nämlich ein Studium abgeschlossen und mit all den anderen, die hier mit Migrationshintergrund arbeiten erwirtschaften Sie gemeinsam 22Mrd. € mehr, als Menschen mit Migrationshintergrund die Sozialsysteme kosten.” So Timo Fischer auf “Against Racism and Fascism (International)”. Er fährt fort: “Ein Schuldiger für eure eigene Situation ist schnell gefunden. Daran ist der böse Muslim schuld oder der Flüchtling oder die Ausländer. Wo wart ihr denn als es darum ging für ein würdevolles Leben und gegen Hartz4 zu demonstrieren? Wo wart Ihr als man Euch die Renten kürzte? Wo wart ihr als man eure Steuergelder verbrannte um die Banken mit Billionen zu retten? Wo wart ihr als man erst eure Kollegen und dann euch wegrationalisierte? Vermutlich wart ihr zu Hause und nun wo euch soviel genommen wurde folgt ihr euren Führern, die all eure Wut und euren Hass auf Menschen lenken, die euch fremd sind aber die eure hilfsbereiten Nachbarn sein könnten. Das ist erbärmlich und wegen Euch muss sich jeder in diesem Land schämen….egal ob Christ, Muslim, Jude, Budhist, Atheist, schwarz oder weiß…Deutscher zu sein. Ihr verteidigt nicht das Abendland….ganz im Gegenteil….Ihr tretet die Werte dieses Landes mit Füßen. Ihr seit eine Schande für Deutschland.” Es gibt in Dresden und drumherum keine Opfer des Islamismus. Und in Wahrheit geht es auch nicht darum. Die von den Pegidanern so oft beschworenen “Flüchtlingsströme” und “Masseneinwanderungen” finden nicht statt. Vor zwanzig Jahren gab es mehr als doppelt so viele Asylbewerber wie in diesem Jahr. Der unappetitliche Wortkompott von der Flüchtlingsschwemme oder dem Boot, das doch ach so voll ist, hat mit der Wirklichkeit schlicht nichts zu tun. Kein Wunder also, daß der Freitag diese nette Einschätzung bietet: „’Es sind ja nicht gerade die Intelligentesten, die sich hier versammeln’, raunt ein CDU-Landtagsabgeordneter, der die Szene nachdenklich beobachtet. Manche Demonstranten geben sich als Dynamo-Fans auch zu erkennen, Hooligans sind dabei, Kameradschaftstypen und NPD-Funktionäre. Aber in der Mehrzahl manifestiert sich das Empfinden verunsicherter Bürger, die vor Ort oder per Schmähpost allergisch reagieren, wenn man sie auch nur in die Nähe von Nazis rückt. Es sind nur wenige Frauen zu sehen und Leute, die jünger als 60 Jahre alt sind. Eifrig werden Deutschlandfahnen geschwenkt. Die Plakate lassen keinen Zweifel, worum es den Demonstranten geht: ‘Heimatschutz statt Islamisierung’ steht da, ein anderes wütet gegen die angeblich gleichgeschalteten Medien.” Weiter heißt es: „’Ich will nicht, dass meine Enkel eine Burka tragen und unter der Scharia leiden müssen’, sagt ein älterer Herr (…). Andere werden sofort laut und geradezu hysterisch. Die Wahrheit über die Ausländer, ‘die doch alle kriminell sind’, werde verschwiegen, jeder von ihnen koste sieben Mal so viel wie ein Hartz-IV-Empfänger, die sollten besser von den reichen Ölländern aufgenommen werden. Man trifft auf Totalfrustrierte, nicht mehr rational Erreichbare, die hier aus ihrem Gefühlsstau ausbrechen wollen. Sie sehen sich von Feinden umzingelt, wie 1989 einem feindlichen Staat ausgeliefert. Politiker, so hört man, seien sämtlich Volksverräter, das Statistische Landesamt lüge über den geringen Ausländeranteil, um Bürger ruhigzustellen, die komplett linken und gleichgeschalteten Systemmedien verdrehten erst recht die Tatsachen. Mit einem Wort: ebenso unaufgeklärte wie unaufklärbare Menschen, die es wohl in jeder Gesellschaft gibt.” Nochmal: Ebenso unaufgeklärte wie unaufklärbare Menschen. Das ist Pegida. Von wegen Mitte der Gesellschaft. Es sind vielleicht nicht die Radaubrüder, die jahrzehntelang das ekelhafte Geschäft der Fremdenhatz betrieben haben. Aber es sind abgehängte soziale Schichten oder solche, die Furcht haben müssen, einmal abgehängt zu werden. Und weil es sich dabei auch um Handwerker handelt, um Menschen, die arbeiten, um solche, die komplexer gewordene Politik nicht begreifen können, um jene, für die Globalisierung nur furchterregend ist, Menschen, die einen Sündenbock brauchen, bramarbasieren unsere Eliten, Journalisten und Politiker aller Couleur flugs von der “Mitte der Gesellschaft”. Als ob die Mitte der Gesellschaft resistent sei gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt. Nein. Pegida ist nicht das Volk. Ein Teil des Volkes. Ein rückwärtsgerichteter, ein reaktionärer, ein rechtsgerichteter Teil des Volkes. Die Tageszeitung meint: “Nur solange man Rechtsradikalismus mit Baseball schwingenden Glatzen identifiziert, mag das stimmen. Doch rechtsradikale und damit antisemitische, rassistische oder muslimfeindliche Einstellungen sind selbstverständlich in dieser Mitte längst angekommen und verbreitet. Kann man mit Vernunft Pegida etwas anhaben? Da sind angesichts der Irrationalität der Bewegung Zweifel berechtigt.” Mit der Phrase von der Mitte der Gesellschaft soll zart angedeutet werden, daß es sich bei Pegida womöglich doch um eine demokratische Veranstaltung handele, eine Übung, die der Zivilgesellschaft und der Entfaltung bürgerlicher Verhältnisse nützlich sein könnte, um ein berechtigtes demokratisches Anliegen. Aber: “Rassismus, Hetze gegen Menschen, Populismus auf Kosten von Minderheiten und Schwachen haben mit Demokratie nicht das Geringste zu tun! Sie sind das gelebte Gegenteil des demokratischen Anspruches der Bundesrepublik, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Die ‘Pegida’ tastet die Würde der Menschen an, und damit tastet sie das Grundgesetz, die Demokratie und uns alle an.” So formuliert es Michel Friedmann in einem Beitrag der Berliner Zeitung. Im Blog von Erik Flügge heißt es unter der Überschrift: Wider die montäglichen Feiglingsmärsche: “Sie stehen nun Montag für Montag zu tausenden auf der Straße und trauern einer Welt der Unterdrückung nach. Die Welt, in der Normierung die Menschen unterschiedslos machen wollte. Sie trauern einer Zeit nach, als man sich in die Illusion hüllte, die Gesellschaft wäre homogen, weil man jede Form des Anders-Seins in den Untergrund zwang. Es sind die Feiglinge, die sich im Dunkeln auf die Straße wagen. Woche für Woche ein paar mehr. Seit es tausende geworden sind, trauen sie sich endlich auch die besonders feigen auf die Straße. Dort meinen sie, sich mit der Mehrheit zu versammeln, deren bestimmende Kraft sie suchen, um sich anzulehnen. Es sind die Denkfaulen, die Selbstunterdrücker und die Angsthasen, die sich versammeln, um gegen eine fiktive Gefahr zu demonstrieren. In Wirklichkeit schreien sie nach Führung, weil sie keine Phantasie und Kraft besitzen, über sich selbst zu bestimmen. Erlauben wir diesen Feiglingen nicht, sich ein Gewand der angeblich edlen Ziele zu gebe. Ich gestehe ihnen nicht zu, für mich zu sprechen. Sie sind nicht die Stimme eines souveränen Volkes. Sie sind die Stimme einsamer Gesellen. Sie sind die Stimme der Feiglinge, die sich im Dunkeln und im Schutz der Masse auf die Straße wagen. Geben wir ihren Demonstrationen den Namen, den sie verdienen: FEIGLINGSMÄRSCHE.”
Am kommenden Sonntag, dem vierzehnten Dezember gilt es: „Du bes Kölle – Kein Nazis he op unser Plätz!“ So der Aufruf der AG Arsch Hu, Zäng Ussenander. Um zwei Uhr nachmittags treffen wir uns, Kölner und Imis, auf dem Breslauer Platz, hinter dem Hauptbahnhof, um ein weithin sichtbares Zeichen zu setzen für eine solidarische und tolerante Stadtgesellschaft, gegen Rassismus und Nationalismus. Zu Demonstration und Kundgebung rufen unter anderen Bündnis 90/Die Grünen auf, DGB, Festkomitee Kölner Karneval von 1823, Katholikenausschuss, Kein Veedel für Rassismus, Kölner Elf, Köln stellt sich quer, Partei Die Linke, Schauspiel Köln, SPD, Stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“, Verein EL-DE-Haus und viele andere mehr. Einzelheiten im anhängenden Aufruf:
In der Onlineausgabe des Lokalteils der Bergischen Morgenpost kann man, wenn die Redaktion das einrichtet, als Leser seinen Kommentar zu einzelnen Beiträgen abgeben. Das ist wohl als interaktives Beteiligungsverfahren gedacht, als Tribut an die vielfältigen Möglichkeiten des Internets, als Möglichkeit, Leser über ihre eigene Aktivität, ihr Mitmachen und ihre Bewertungen an den Lokalteil und die Zeitung zu binden, den Kommentierenden womöglich als Abonennten zu gewinnen. Der kommentierende Leser liefert der Redaktion so ein unmittelbares Feedback. Die Redaktion, sollte man als unbedarfter Leser der Zeitung annehmen, folgt mit der Möglichkeit von Leserkommentaren einem durchdachten Konzept. Sie fungiert als Moderator der Kommentarspalte, garantiert eine gewisse Text- und Inhaltsqualität, verhindert, daß es auf ihrer Seite zu ähnlichen, nicht nur sprachlichen, Entgleisungen kommt, wie wir das aus einer Reihe von sozialen Netzwerken bereits kennen, und gestaltet, ordnet, erläutert und korrigiert den Reigen der Leseräußerungen. Die Auswertung der Kommentare, der Themen, der Positionen, des sprachlichen Niveaus liefert der Redaktion Hinweise und Informationen über den Online-Leser, das ach so unbekannte Wesen, seine Vorlieben und Merkmale, seine Einstellungen oder Sympathien, und kann mithin helfen, die redaktionelle Linie abzusichern, zu verändern, zu konturieren. Online-Leserkommentare sind, so verstanden, ein wertvoller und nicht zu unterschätzender Input in die Redaktion. So sollte man meinen. Allein: Die Wirklichkeit ist, wie meist, viel profaner. Profan, welch schönes Wort. Zunächst bedeutet es ungeheiligt, vor dem Heiligen, weltlich, wird aber heutzutage meist im Sinne von alltäglich, banal oder trivial verwendet. Also, noch einmal: Die Online-Leserkommentare der Bergischen Morgenpost folgen keinem Konzept, keiner klugen Idee der Zeitungsmacher. Die Kommentarspalte wird nach Gusto eingerichtet, wie’s gerade paßt. Mal ja, mal nein. Mal ist Leserbeteiligung gefragt, mal nicht. Wer gerade den Hut aufhat in der Redaktion. So trivial ist die Redaktionswirklichkeit, so banal, so simpel. Kein Konzept, keine übergeordnete Idee, keine Vorstellung von Stilfragen oder Niveauvorgaben, keine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Leserkommentare, keine Einordnungen. Kommentare werden beispielsweise gelöscht mit einem dürren Verweis auf die Kommentarregeln, die natürlich wiederum an anderer Stelle zu finden sind. Kein Hinweis an die Leser, inwiefern der Inhalt des Kommentars nicht mit der Redaktionslinie übereinstimmt. Auch keiner darauf, daß etwa die sprachliche Ebene des Textes der Redaktion nicht genügt. Einfach gelöscht. Von wegen Moderation der Kommentarspalte. Die Redaktion hat mit Moderation nichts am Hut. Die Leser sollen kommentieren. Sonst nichts. Basta. Dann wird gelöscht oder nicht gelöscht. Je nachdem. Auf keinen Fall aber wird erklärt, erläutert. Wo kämen wir denn auch hin, machte die Redaktion ihr Handeln verständlich? Ganz konkret. Die Morgenpost hat am fünfundzwanzigsten November einen Beitrag veröffentlicht, der über die Absicht einer Kirchengemeinde berichtet, am Jahrestag der Abschiebung einer Bürgers dieser Stadt erneut eine Mahnwache vor dem Rathaus durchzuführen. Und die Redaktion hat die Online-Kommentarfunktion geöffnet. Über den Kommentar eines Lesers, der, in fehlerhaftem Deutsch, Asylanten schlechthin zu Kriminellen und Betrügern erklärt, entspann sich eine rege Kommentardebatte, in deren Verlauf die Redaktion vier Kommentare mit dem oben beschriebenen Hinweis löschte. Die Kommentare sind in ihrer Folge nun nicht mehr wirklich zu verstehen. Mehr noch. Mittlerweile hat die Redaktion alle Kommentare gelöscht. Ohne jeden Hinweis. Ohne jede Erklärung. Wer im Online-Archiv der Bergischen Morgenpost nach diesem Beitrag und den Kommentaren sucht, findet nur noch den Beitrag. Der aktive Leser, der der Aufforderung der Redaktion nachkommt und einen Kommentar zum Beitrag schreibt, kann sich nur düpiert vorkommen. Lesermißachtung. Erst soll er schreiben. Dann, nach kurzer Zeit, sind alle Kommentare verschwunden. Auch die, die nicht gegen die Kommentarregeln verstoßen. Welch ein Irrsinn. Welch ein unbedachter Umgang mit dem Leser. Qualitätsjournalismus.
Heute ist der Tag, da eine junge Frau aus Offenbach, Tugce A., totgeschlagen, weil sie zwei um Hilfe rufenden Mädchen beistehen wollte, beerdigt wird.
“Wenn man sich etwas wünschen darf am traurigen Tag dieser Beerdigung: dass die Rezeptemacherei schweigt, dass die Besserwisserei verstummt vor dem Tod. Wenigstens für diesen Tag sollte man sie loslassen, die Frau, die im so richtigen, so falschen Moment den Reflex des Menschlichen spürte.”
(Mathias Drobinski, Zivilcourage. Zeit zu verstummen, in: Süddeutsche Zeitung von heute)