Da wird jemand gewählt bei der letzten Kommunalwahl. In den Stadtrat. Für die Partei “Die Linke“. Am Tag nach der Wahl habe ich hier geschrieben, daß mir nur schwer erklärbar ist, warum diese Partei ihre Stimmenzahl hatte verdoppeln können, war doch “kaum etwas zu hören oder lesen (…) von ihrem Stadtverordneten. Fünf Jahre lang.” Einerlei. Seit nicht einmal einem Jahr sitzen nun zwei Linke im Rat der Stadt. Saßen. Denn nun ist Thorn Seidel ausgetreten. Der Neu-Linke. Aus der Fraktion. Wegen “unüberbrückbarer Differenzen” mit dem anderen, dem Noch-Linken, Rainer Schneider. Hübsche Formulierung. Unüberbrückbare Differenzen. Aus dem Satzbaukasten der bürokratisch gestanzten Rede. Eine sprachliche Nebelkerze. Nichtssagend. Bla-Bla. Das alles aber ist nicht wirklich mein Bier. Sollen sie doch streiten. Überbrücken, wenn’s geht, es lassen mit dem Brücken bauen, wenn nichts mehr geht. Alles nicht wirklich wichtig. Viel wichtiger ist, daß es sich bei einem Stadtverordneten der Linken um einen Stadtverordneten aller Bürger in dieser Stadt handelt. Thorn Seidel hat sich bislang jedoch mit nichts hervorgetan. Nichts, was in der Öffentlichkeit bemerkt worden wäre, nichts, was den Zeitungen eine Meldung wert gewesen wäre, nichts, was die Aufmerksamkeit von Bürgern hätte finden können. Was bleibt? Thorn Seidel hat die Fraktion der Linken zerdeppert. Im Wortsinn. Das haben die Wähler der Linken nicht verdient. Sie haben eine Fraktion aus zwei Menschen gewollt und auch bekommen. Bis gestern. Bis Thorn Seidel von “unüberbrückbaren Differenzen” salbaderte. Und, ganz politischer Schlaumeier, in der Tradition bürgerlicher Mandatsräuber feststellte: “Ich werde weiterhin im Stadtrat bleiben, das steht fest.” Ich habe keine Ahnung, was diesen Menschen befähigt, im Stadtparlament für das Gemeinwohl zu arbeiten. Ich war an seiner Aufstellung nicht beteiligt. Bislang aber habe ich auch keine Kenntnis von auch nur einer bemerkenswerten Einschätzung, Handlung, Initiative. Nach den Regeln der Bürokratie mag feststehen, daß Thorn Seidel sein Mandat behalten kann. Nach den Regeln des politischen Anstands wäre allerdings das Gegenteil fällig, nämlich der Rücktritt vom Mandat. Das hat der Herr Seidel ja nicht bekommen, weil er so nett wäre, so klug, so anziehend, so überzeugend. Nein, das Mandat hat der Genosse Seidel bekommen, weil ihn seine Genossen für die Wahl aufgestellt, weil sie ihn gewählt haben. Jetzt will er nicht mehr, jetzt spürt er “unüberbrückbare Differenzen”, jetzt gibt es Krach. Also soll er auch gehen. Der Mandatsklau ist schon bei bürgerlichen Parteien nicht wirklich akzeptabel. Bei Linken ist er, finde ich, sogar unappetitlich. Er zeugt von grandioser Selbstüberschätzung. Solange Thorn Seidel nicht über Wasser gehen kann, solange er also noch zu den ganz normalen Menschen zu rechnen ist, solange sollten auch die Maßstäbe des Anstands und der Demokratie für ihn gelten. Ein schwieriges Geschäft, diese Demokratie.
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