Tag: 6. April 2015

Zur Demokratie-Debatte

Dieses (unser demokratisches Gemeinwesen, W.H.) leidet seit Längerem an sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die sich negativ auf seinen Zusammenhalt auswirken. Die Wahlbeteiligung auf allen staatlichen Ebenen sinkt, die Mitgliederzahlen insbesondere der Volksparteien nehmen ab und das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger des Landes schwindet spürbar. (…) Zudem sind es vor allem bildungsferne und einkommensschwache Gruppen in der Bevölkerung, die sich von der Politik abwenden und unser Gemeinwesen auf den Weg in die „Zwei-Drittel-Demokratie“ schicken. Ohne den Begriff der Krise überstrapazieren zu wollen, kann man an unserem politischen Gemeinwesen Tendenzen konstatieren, die Partizipation, Repräsentation und Inklusion als Kernfunktionen der Demokratie angreifen. Dies darf jedoch nicht als pauschaler Rückzug ins Private missverstanden werden, denn Umfragen und praktische Erfahrung belegen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Maß an politischer Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeit gerade auch außerhalb von Wahlen wünscht. Hierbei geht es um eine breit verstandene bürgerschaftliche Teilhabe, die sich in zahlreichen, höchst unterschiedlichen Partizipationsformen niederschlägt. Trotz Ausweitung der bürgerschaftlichen Einflussmöglichkeiten lässt sich insgesamt ein Vertrauensverlust der Menschen in unser politisches System, den demokratischen Entscheidungsprozess und dessen Allgemeinwohlorientierung attestieren. (…) Das in der Vergangenheit immer wieder geäußerte Postulat, bestimmte Politiken seien „alternativlos“, hat dieses Gefühl mangelnder Einflussmöglichkeiten noch verstärkt. (…) Zur Frage, wie man das Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft in der Formulierung und Umsetzung politischer Entscheidungen in transparentere Strukturen als bislang einbetten kann, existieren ganz unterschiedliche Ideen, die einer intensiveren Betrachtung wert wären, darunter etwa verpflichtende Offenlegungspflichten in Verbindung mit anreizgestützten und sanktionierbaren Verhaltensrichtlinien. Gleiches gilt für Maßnahmen zur Stärkung der Wahlbeteiligung sowie zur Frage, wie Volksparteien auf ihre zurückgehende Bindekraft reagieren sollen. Insbesondere diese suchen mittlerweile wieder verstärkt den direkten Dialog mit den Menschen vor Ort in ihrer Nachbarschaft. Dort laden sie zum Mitmachen ein, bieten vermehrt Hilfe zur Selbsthilfe anstatt standardisierter Problemlösungen an und reagieren damit unmittelbar auf die geänderten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an demokratische Mitbestimmung und die Aufgabenwahrnehmung von Parteien. (…) Vertrauen, Teilhabe und Transparenz sind die Schlüsselwörter einer Debatte um die Weiterentwicklung und Stärkung unseres demokratischen Gemeinwesens, die zu einer besseren Legitimation von Politik beiträgt. (…) Deutschland braucht in seinem Parlament endlich eine breite Debatte über die Ursachen für die abnehmende Partizipation, die sinkende Repräsentation und die steigende Exklusion unserer Institutionen. Ziel muss es sein, im breiten parlamentarischen Konsens Vorschläge für die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems zu entwickeln.

Auszüge aus einem Beitrag von Hans-Jörg Schmedes und Fedor Ruhose unter dem Titel: Mehr Demokratie-Debatte ins Parlament, in: Carta vom siebenundzwanzigsten März Zweitausendundfünfzehn

 

Knüppel aus dem Sack

Holzstöcke von Äxten, Ölfässer, ein bißchen Elektronik,  kräftige Kerle aus Frankreich und sonstwo. Trommeln, Trommeln, nichts als Trommeln. Les Tambours du Bronx. Ein elektrisierender Sound, narkotisch, aufregend, schlicht. “The rhythm of the factory and workshops will be its tempo. The grid street layout will become a pattern and the music will proceed from their raw material, metal. Oil-drums, pick-axe handles : being radical is indeed « starting from the root ».” So heißt es auf der Internetseite der Tamborjungs. Im Juli kann man sie in Leuven in Belgien besichtigen.

 

Dudelsack gegen E-Gitarre

Celtica sind musikalische Freibeuter, die keltische Traditionen entern, plündern, sich anschließend einen kräftigen Schluck aus der großen Pulle der Rock- und Metal-Musik zur Inspiration genehmigen, um das Destillat unter dem Schlachtruf “Pipes Rock!” auf die Menschheit los zu lassen. Schottische Dudelsäcke und E-Gitarren miteinander zu verbinden, mag auf den ersten Blick als ein völliger Anachronismus erscheinen. Auf den zweiten Blick ergibt es Sinn. Die Great Highland Bagpipe ist wohl das einzige Instrument auf der Welt, das rein akustisch einer unter Strom stehenden Gitarre Paroli bieten kann. Hier begegnen sich also zwei Partner und musikalische Welten auf Augenhöhe.

So zu lesen auf einer Ankündigungsseite für die diesjährige Tour von Celtica. (Am achtundzwanzigsten April rocken sie in Leverkusen!) Und hier kann man sehen und hören, was die zwei Mädels und vier Jungs so treiben auf der Bühne:

 

Wahlrecht

Bundestags-Vizepräsidentin: Wahlrecht für Behinderte
Auch Behindertenbeauftragte sieht Handlungsbedarf

Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) fordert ein umfassendes Wahlrecht für alle behinderten Menschen. “Es ist für eine Demokratie wesentlich, allen Bürgern in gleicher Weise das Wahlrecht anzuerkennen, denn die Möglichkeit zu wählen ist ein grundlegendes Menschenrecht, welches nicht einfach auf einem überholten Verständnis von Unmündigkeit beruhend einem Personenkreis entzogen werden darf”, sagte Schmidt der “Welt”. Die entsprechenden Paragrafen im Bundeswahlgesetz sollten ersatzlos gestrichen werden. Auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, forderte den Gesetzgeber zum Handeln auf. Sie sagte der “Welt”: “Der gesetzlich festgelegte Wahlrechtsausschluss für Menschen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist, ist eine nicht hinnehmbare Diskriminierung.” Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichte die Staaten, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am politischen Leben umfassend und wirksam zu ermöglichen. “Ich fordere daher umgehend die Abschaffung des Wahlrechtsausschlusses.” Nach dem Bundeswahlgesetz dürfen Menschen nicht wählen, für die eine “Betreuung in allen Angelegenheiten” besteht. Außerdem ist von der Wahl ausgeschlossen, wer sich im psychiatrischen Maßregelvollzug befindet, weil er aufgrund einer Krankheit oder Behinderung schuldunfähig ist und krankheitsbedingt weitere Taten drohen. Acht Menschen mit Behinderung hatten im Dezember 2014 Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, weil sie bei der Bundestagswahl 2013 nicht wählen durften.

Eine Fundsache aus den Yahoo-Nachrichten vom achtundzwanzigsten März Zweitausendundfünfzehn. Und ein guter Hinweis an die Adresse derer, die die Interessenvertretung behinderter Menschen in der Stadt, den Behindertenbeirat, nach wie vor nicht von Behinderten selbst wählen lassen wollen, sondern dies lediglich den Verbänden und Institutionen zugestehen.

Nachtrag: Karfreitag

 

Natürlich ist das Tanzverbot an Karfreitag eine Lappalie. Es ist aber eine Metapher, die für mehr steht. Für konfessionelle Schulen, die nichtchristliche Migrantenkinder ausgrenzen; für ein Spezialarbeitsrecht, das es kirchlichen Trägern erlaubt, ihre Mitarbeiter auf eine Weise auszubeuten, von der andere Arbeitgeber nur träumen können; für allerlei kirchliche Einrichtungen bis hin zu Bischofsgehältern, die nicht von der Kirche und auch nicht aus der Kirchensteuer sondern vom Staat bezahlt werden; usw. usw. usw. Es geht darum, dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Privilegien genießen, die ungerecht gegenüber all denjenigen sind, die damit nichts zu tun haben (wollen). (…) Mit Atheismus hat das ganze nur am Rande zu tun. Es ist egal, ob du Atheist bist, Jude, Moslem, Buddhist, Anhänger einer Freikirche, Mormone, Neuheide oder Pantheist: Dein Glaube ist Privatsache und ob die Ausübung deiner Religion zu deinen Arbeitszeiten oder irgendwelchen Gesetzen passt, interessiert (zu recht) kein Schwein. Außer du bist zufällig evangelischer oder katholischer Christ. Der Karfreitag mit seinem Tanzverbotsbeschimpfungsritual ist ungewollt zu einem Gedenktag dafür geworden, dass Deutschland kein säkularer Staat ist – und einer vor dem nicht alle gleich sind. Eine faire Regelung wäre: Abschaffung all dieser Privilegien und Feiertage. Gebt den Leuten stattdessen ein paar Urlaubstage mehr und das verbriefte Recht, an den Feiertagen ihrer Religion freizunehmen, auch wenn dem Arbeitgeber das nicht passt. Wer’s nicht braucht, hat halt im Sommer ne Woche mehr auf Malle. Ich bin mir sicher, dass eine solche Regelung nicht nur arbeitnehmer- sondern auch arbeitgeberfreundlich wäre, wenn Leute an bestimmten Tagen fehlen, während sie dafür sicher gerne freiwillig an Tagen arbeiten, an denen Christen die Geburt, den Tod oder die Auferstehung Jesu mit Fressorgien und “Die Hard 17″ auf Sat.1 feiern wollen.

Aus: Die Ennomane (Blog von Enno Park, Berlin), Tanzverbot, die Eintausenddrölfzigste, dritter April Zweitausendundfünfzehn