Desaster

Ein Desaster. Die Wahl. Nicht einmal jeder zweite Bürger hat seine Stimme für einen der vier Bürgermeisterkandidaten in Wermelskirchen abgegeben. Ein Unglück, das heißt Desaster wörtlich, ein Unglück für die Demokratie. Mag sein, daß viele Menschen zu bräsig und zu bequem sind, manche auch zu blöd. Aber das erklärt das ganze Fiasko natürlich nicht. Die Parteien und ihre Kandidaten sprechen offenbar nicht mehr die Sprache, die Menschen mobilisieren könnte zur Teilnahme am urdemokratischen Prozess einer Wahl. Die Parteien, alle, erreichen die Bürger immer weniger. Noch vor gut einem Jahr beteiligten sich knapp mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten an der Wahl zum Kommunalparlament. Nun ist die Beteiligung um noch einmal etwa sechs Prozent eingebrochen. Ein deutliches Signal an die Parteien. Ein Warnschuß. An alle Parteien. Zuvörderst aber, das habe ich hier bereits ausgeführt, ein Warnschuss an die Partei, die über Jahrzehnte die Geschicke in dieser strukturkonservativen Stadt bestimmt hat, die CDU. Wenn man den Bürgern ein politisches Leichtgewicht als Bürgermeisterkandidaten präsentiert, einen netten, jungen Mann ohne Leitungskompetenz und politische Statur, dann ist es kaum verwunderlich, daß die CDU nicht einmal ihr Ergebnis der letzten Kommunalwahl wiederholen kann. Für Stefan Leßenich haben gestern gut fünftausendeinhundert Menschen votiert, etwa achtunddreißig Prozent der Wähler. Bei der Kommunalwahl vor einem Jahr kamen CDU und WNK gemeinsam aber auf siebentausendfünfundvierzig Stimmen, also knapp siebenundvierzig Prozent. Gestern haben sie nicht einmal drei Viertel der Stimmen einsammeln können, die vor einem Jahr noch auf die beiden konservativen Parteien entfallen waren. Fazit: Der Kandidat ist die falsche Wahl. Er überzeugt nicht einmal in den eigenen Reihen, in der eher konservativen Wählerschaft. Ein Rückschlag für die CDU und in ihrem Fahrtwind auch für die WNK. Erkennbar auch am guten Abschneiden des SPD-Kandidaten, Rainer Bleek. Viertausenfdünfhundertsechsundsechzig Menschen haben sich gestern für den Sozialdemokraten auf dem Bürgermeistersessel ausgesprochen, vierunddreißig Prozent der Wähler. Damit hat Bleek das SPD-Ergebnis der letzten Kommunalwahl, etwa zweitausendneunhundert Stimmen im Jahr Zweitausendvierzehn, um mehr als fünfzig Prozent übertroffen. Daß hier in Wermelskirchen zum ersten Mal seit gefühlt einhundert Jahren eine realistische Erwartung auf einen Sozialdemokraten an der Spitze der städtischen Verwaltung entstehen kann, zeigt das ganze Ausmaß des konservativen Desasters der gestrigen Wahl. Der erfahrene Sozialdemokrat ist die eigentliche Überraschung dieses Wahlgangs. Erfahrung schlägt Jugend, Profil Nettigkeit. Mag sein, daß das Manöver der CDU, sich der Unterstützung der WNK und ihres bisweilen in rechtspopulistische Gefilde abdriftenden  Lautsprechers, Henning Rehse, zu bedienen, um ihren Kandidaten durchzubringen, den Konservativen bei vielen Menschen Sympathien gekostet hat. Vielleicht ist auf diesen Effekt auch der erstaunliche Stimmenanteil für den unabhängigen, aber von FDP und Bürgerforum unterstützten Kandidaten, Marc Diluweit, zuruckzuführen. Als Newcomer erreichte er gestern aus dem Stand dreitausendvierhundert Stimmen. Ein Viertel der Wähler immerhin. Bei der Kommunalwahl vor Jahresfrist entfielen auf die Unterstützerparteien Büfo und FDP zusammen nur gut sechzehn Prozent. FDP und Bürgerforum sind nun nicht gerade die zwei Parteien im Rat, die beständig von sich reden machen, die unentwegt ein brilliantes Feuerwerk an Ideen und Vorschlägen zur Verbesserung des Lebens und der Kultur in Wermelskirchen abbrennen oder deren Spitzenleute als begnadete Volkstribunen in der Stadt für Furore sorgen. Und Marc Diluweit war bis zum Beginn des Wahlkampfes ein vollkommen unbeschriebenes Blatt in der Stadt. Wenn nun ein Viertel derer, die sich an der Wahl beteiligt haben, ihn gewählt haben, den Unbekannten, einen Mann, der noch keine Rolle in der Kommunalpolitik gespielt hat und der im Wahlkampf freundlich und verbindlich aufgetreten ist, aber keineswegs deutlich machen konnte, warum man ihn und nicht einen der anderen Kandidaten wählen sollte, dann deutet dies darauf hin, daß in der auch eher strukturkonservativen Anhängerschaft von FDP und der CDU-Abspaltung Bürgerforum der Kandidat der konservativen Partei nicht zu vermitteln war. Und schließlich, der Vollständigkeit halber, noch das Ergebnis des Kandidaten der Partei Die Linke: Mike Galow konnte lediglich zwei Prozent der Stimmen einsammeln. Gemessen am selbstgesteckten Ziel von fünf bis sechs Prozent eine eindeutige Niederlage. Für die Partei und den Kandidaten. Und nun? In zwei Wochen gibt es den Showdown, die Stichwahl zwischen Rainer Bleek und Stefan Leßenich. Zu hoffen bleibt, daß es den Parteien gelingen wird, mehr Menschen als gestern für die Demokratie in der Stadt zu gewinnen und zu begeistern, die Wahlbeteiligung spürbar zu verbessern. Schwer genug, kann man falsche Personalentscheidungen doch nicht mitten im Galopp, im Wahlendspurt revidieren. Zu hoffen bleibt, daß die Bürger bei der Stichwahl nicht nach Parteibuch, sondern nach erkennbarer Kompetenz und Erfahrung votieren. Wie sagt der Volksmund? Wer die Wahl hat, …

5 Kommentare

  1. EDV-Schrauber

    Zu Leßenich: Stimmt, Punkt für Sie. “Newcomer” ist in diesem Zusammenhang der föllig valsche Begriff. Obwohl mir natürlich nicht entgangen ist, dass er seit Jahren politisch engagiert ist, habe ich ihn eher in die Schublade “politisches Leichtgewicht”, “Hinterbänkler” oder “Mitläufertyp” abgelegt. So ist er mir jedenfalls vorgekommen, ich kann mich jedenfalls an nichts erinnern, womit er mir substanziell in Erinnerung geblieben ist. Ich empfand die Kandidatur daher schon so ein bischen wie “von 0 auf Bürgermeister”.

    Ich hätte die aktuelle Bürgermeisterwahl ja z.B. eher mit der letzten Bürgermeisterwahl verglichen, als
    der aus dem Hut gezauberte Wunderkandidat der CDU sang und klanglos untergegangen ist. Als der Abspaltungskandidat Kowalewski noch weiter untergegangen ist. Als der alte und neue Kandidat fast mit Zweidrittelmehrheit gewählt wurde. Und als Beispiel, wie sich die politische Struktur auch ändern kann am Beispiel der WNKUWG, die ja praktisch “heim ins Reich” zur politischen Mutter gewechselt ist.

    Inwiefern solche Wahlen den Kandidaten oder die Partei in den Vordergrund stellen, darüber kann man sich trefflich streiten, aber ich glaube zumindest mehr “Person” als bei einer Bürgermeisterwahl geht kaum. Und natürlich kann man eigentlich die Personen nicht von den Parteien trennen, obwohl: Dieluweit?

    So wie es aussieht, werden in der Stichwahl die Linken Bleek wählen, Mellers BüFo will (vorsichtig formuliert!) eher nicht Leßenich unterstützen. Gute Vorzeichen für Sie eigentlich, wenn, ja wenn Wermelskirchen eben nicht so grundtief schwarz wäre.

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

  2. Lieber Schrauber,

    da halte ich es, was den Vorwurf der kreativen Manipulation von Zahlen angeht, lieber mit meinem alten Deutschlehrer, Dr. Petermann, der mir in der Schule schon Enzensberger empfahl: Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne. Sie sind genauer. Bei den drei Kandidaten mit den besten Ergebnissen sind jeweils die absoluten Zahlen und und die prozentualen Anteile angegeben. Lediglich beim Kandidaten der Linken fehlt die Angabe der zweihundertsiebenundsechzig Wähler. Also: Kein Gutdünken, kein Zahlenverdrehen. Und, nein, Stefan Leßenich ist jung, aber kein Newcomer. Ihnen ist womöglich entgangen, daß der Kandidat der CDU bereits seit elf Jahren Stadtverordneter ist und viele Jahre in den Vorständen von CDU und CDA zugebracht hat und zudem seit einem Jahr als stellvertretender Bürgermeister amtiert. Er ist also kein “unbeschriebenes Blatt”, wie Sie annehmen. Insofern und gemessen an der strukturkonservativen Bevölkerung der Kommune sind die achtunddreißig Prozent, die er erzielt hat, wenig. Ich finde im Unterschied zu Ihnen den Vergleich mit den Ergebnissen der Kommunalwahl statthaft. Mit Verlaub: mit welcher Wahl soll ich die Bürgermeisterwahl von vorgestern denn vergleichen, wenn nicht mit der letzten Kommunalwahl? Die Kandidaten von ihrer Parteizugehörigkeit zu trennen, finde ich eigentlich albern. Das macht auch niemand. Und die Plakate hängen die Kandidaten auch nicht alleine auf und sie verteilen auch nicht ihre Flyer alleine. Ihnen helfen die Mitglieder ihrer Parteien. Natürlich. Ohne diese Parteien gäbe es keine Kandidaten. Und schließlich: Auch beim Vorwurf der vermeintlichen Wählerbeschimpfung lohnte es sich, genauer zu lesen. Aus Ihren bisherigen Kommentaren zu ganz unterschiedlichen Beiträgen schließe ich, daß Ihnen das genaue Lesen eigentlich nicht so sehr schwer fällt. Eigentlich.

    Freundliche Grüße

    Wolfgang Horn

  3. EDV-Schrauber

    Kein Desaster. Kein Warnschuß. Sondern ein weiterer eindeutiger Stinkefinger in Richtung Politik. Die wachsende Schar der Nichtwähler als bräsig und faul, oder gerne auch als blöd darzustellen ist so einfach, wie es falsch ist. Ich gebe da “Pino” recht. Die Menschen sind es leid, “ihre demokratischen Grundrechte für eine Legislaturperiode wegzuwerfen” (gefällt mir 🙂

    In ihrem Blogeintrag vom 1.9. habe sie ja selber auf die Profillosigkeit der Kandidaten hingewiesen, im übrigen auch auf die des eigenen (SPD-)Mannes. Ich würde ja gerne ein an diese Wahl adaptiertes Zitat von Gerhard Glogowski bringen, aber mir wurde in den letzten Tage oft genug vorgeworfen, dass ich in öffentlicher schriftlicher Kommunikation Untergrenzen des Anstandes und des Respekts nicht einhalte und von kommunikativem Anstand noch nie etwas gehört habe.

    Letztendlich haben sie die Ursache doch schon genannt: “Die Parteien bieten den Bürgern ein Personaltableau dar, das den schwierigen und komplizierten Problemen, vor denen Stadt und Bürger stehen, nicht wirklich gerecht wird.”

    Was die vielen Menschen da draußen betrifft, die sich ganz bewußt (!) fürs Nichtwählen entschieden haben, so scheinen doch langsam viele die tiefe Wahrheit im bekanntesten Zitat von Emma Goldman über das Wählen zu begreifen. Und so handeln sie dann auch.

    Dann wirds aber ein bischen abstrus. Einerseits scheint mir die Analyse (auch von Frau Weber) ein wenig zu sehr durch die rote Parteibrille beeinflusst zu sein, auffällig finde ich aber den kreativen Umgang mit dem Zahlenwerk. Da werden je nach Gutdünken mal absolute Zahlen, dann mal wieder die relativen Prozentzahlen bemüht, schließlich noch zwei völlig unterschiedliche Wahlen (Bürgermeister Kommunalwahl) miteinander verglichen, so dass die Folgerungen ins Bild passen.

    Man kann auch ohne die Zahlen zu verdrehen einige interessante Dinge ablesen:
    1. Mike Galow war nichts anderes als Kanonenfutter. Das stand vor der Wahl fest und zeigt sich anhand der bedeutungslosen zwei Prozent. Die erwarteten fünf bis sechs Prozent halte ich dann doch eher für einen kurzen Ausflug ins Wi-Wa-Wunderland, das gibt die politische Struktur hier einfach nicht her.
    2. Ein “netter, junger Mann ohne Leitungskompetenz und politische Statur” holt über 38%, immerhin mehr als die 34% des SPD-Mannes. Die Parole “Erfahrung schlägt Jugend, Profil Nettigkeit” scheint mir da doch ein wenig optimistisch zu sein. Immerhin ist auch Leßenich Newcomer, politisch ein unbeschriebenes Blatt, Bleek ein Urgestein. Na gut, vielleicht “Sieger der Herzen”, ich schicke Ihnen auf Anfrage gerne eine selbstgemalte Urkunde zu.
    3. Ein FDP-Mann (und im Grunde ist Dieluweit nichts anderes als der Versuch der Fortsetzung der FDP-Bürgermeisterschaft mit den gleichen Mitteln), den sie als “personifizierte Unverbindlichkeit” bezeichnet haben (ich stimme übrigens zu) und der bisher nicht nenneswert kommunal in Erscheinung getreten ist, holt etwa 25%. Auch da scheint die “Erfahrung” des SPD-Mannes keine Rolle gespielt zu haben. Trotzdem scheint der Trick, einen FDP-Mann als parteilosen Kandidaten ins Rennen zu schicken nicht ganz schlecht zu sein. Hat bei Weik ja auch geklappt.
    4. Ich finde den mehrfach bemühten Vergleich mit der letzten Kommunalwahl absolut fehl am Platze, diese Wahl ist keine Kommunalwahl. Je nach Betrachtungsweise, ob da wirklich “der Mann” oder “die Partei” gewählt wird, kann man nämlich frei alles reininterpretieren, was man will.

    Und Frau Weber: Uns steht wirklich eine schwierige Zeit bevor. Die Webseite von Herrn Bleek finde ich dann doch etwas zu unverbindlich, um ihn als “erfahrenen Problemlöser” zu verkaufen.

    Ich lege mich übrigens fest: Leßenich machts. Am Ende wird hier eben doch der nette unverbindliche Schwiegersohn mit schwarzem Parteibuch gewählt, als der biedere, aber als kompetenter verkaufte Sozi gehobenen Alters. Nur die Merkel-Raute sollte er vielleicht noch lernen, so passt es besser. Und ist das nicht auch irgendwie zum Kotzen?

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

  4. Es gibt weitaus dringlichere Gründe für die allgemeine Wahlunlust als die oben aufgeführten. Weder menschlich diskreditierende Äußerungen, noch “der falsche Kandidat” sind wirkliche Ursachen. Der “richtige Kandidat” kann Menschen kurzfristig motivieren zur Wahl zu gehen, und ihre demokratischen Grundrechte für eine Legislaturperiode wegzuwerfen um darauf zu hoffen, dass der/die Gewählte/n es richtig machen. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Wir reden seit Jahrzehnten über die immer wieder gleichen Themen ohne sie zu lösen. Weil die Politik es nicht können? Oder weil sie es nicht wollen? Ich tendiere ja zu Letzterem. Nur so ein Bauchgefühl. Hat irgendeine Partei die anstehenden wirklich Probleme gelöst? Gibt es wirklich grundlegende Verbesserungen? Es ist relativ einfach zu schauen, was wirklich passiert ist. Beantwortet euch einfach folgende Frage: “Wer hat in den letzten 30 Jahren ” davon profitiert? Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland ist nachweislich größer geworden, Familien kommen nicht mehr umhin als Doppelverdiener unterwegs zu sein, um den Kindern noch in irgendeiner Form gerecht werden zu können. Manchmal auch mit mehreren Jobs. Die meisten Jobs in den letzten 15 Jahren sind im Niedriglohnsektor entstanden, dank Zeitarbeit. Der “bürgerliche Mittelstand” ist nur noch ein Schatten seiner selbst… das könnte noch länger ausgeführt werden. Aber da kann ja auch jeder selber mal recherchieren.

  5. Sehr gut analysiert. Um das mal – nur auf die Kandidaten bezogen – zusammenzufassen: Die Gewinner der Wahl sind Rainer Bleek und Marc Dieluweit. Letzterer hat von Null auf 25 vorgelegt und Rainer hat gegenüber dem Ergebnis der letzten Kommunalwahl noch einmal mehr als 50 Prozent draufgelegt. 550 Stimmen Unterschied zu Stefan Leßenich. Das sollte zu schaffen sein. Zumal die meisten Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt sehr wohl wissen, dass uns eine schwierige Zeit bevorsteht. Und schwierige Aufgaben verlangen nach erfahrenen Problemlösern.

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