Die Gefahr für die Demokratie besteht nicht in Menschen, die vor Krieg, Not und Terror fliehen, sondern in Menschen, die aus Angst Politik machen. Die Gefahr besteht in Sätzen, die jene Vernunftvereinbarung aufkündigen, auf die diese Gesellschaft gründet. (…) Es ist das Wesen der Vernunft, dass sie sich selbst erkennt, in ihren Wahrheiten, in ihren Werten, die dann auch keiner Begründung mehr bedürfen. Die Vernunft schafft sich ihre Ordnung selbst. Die Gleichheit ist so ein vernünftiger Wert, auf der Gleichheit baut alles auf, aus ihr erwächst die Toleranz. Und jeder Politiker, jeder Forumspöbler, der das Schicksal der Flüchtlinge diskutiert, ohne diese grundsätzlich Gleichheit zu akzeptieren, kündigt damit das Versprechen der Vernunft auf, auf dem die Demokratie beruht. Das bedeutet aber, dass man bei jemandem wie Björn Höcke gar nicht mehr lange diskutieren muss, ob er rechtspopulistisch ist oder nicht – er ist ein völkischer Hassprediger, ein Feind der Demokratie, ein Feind der Verfassung, weil er Menschen in rassistische Kategorien unterteilt. Wer wie Höcke vom “lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp” spricht, der Kinder wie Karnickel in die Welt setze – der hat in keiner Talkshow etwas verloren, weil er von sich aus die Grundvereinbarung des demokratischen Diskurses aufgekündigt hat. Und der muss dann auch nicht, wie es Vernunftfeinden eigen ist, darüber jammern, dass sie irgendwie nicht sagen dürfen, was sie wollen – sie dürfen es, aber nur dort, wo bestimmte Regeln der Logik und des Respektes eingehalten werden. (…) Sie ( die Rechtspopulisten in Europa, W.H.) verbindet eine grundsätzlichere Ablehnung von wesentlichen Elementen all dessen, was im 18. Jahrhundert zur Gestalt des Abendlandes wurde, das diese Politiker doch angeblich bewahren wollen. Sie sind nicht nur gegen Flüchtlinge, sie sind gegen die Freiheit der Meinung und der Kunst (siehe Polen, wo Theateraufführungen verboten werden, weil sie zu pornografisch sind), sie sind im Grunde auch gegen den Kapitalismus (siehe Front National, der ein sehr national und sehr sozialistisches Wirtschaftsprogramm propagiert), sie sind anti-emanzipatorisch und für eine Art Ständegesellschaft, organisiert nach den archaischen Wahnprinzipien von Volk und Rasse. (…) Und weil sich die Aggressionen der Vernunftfeinde vor allem in der Flüchtlingsfrage zeigen, muss man dort besonders deutlich sein: Es gibt hier keine zwei Extreme, von denen die einen für die totale Zuwanderung sind, so die Verzerrung, und von denen die anderen gegen die Zuwanderung sind. Es ist anders: Es gibt auf der einen Seite die, die für die Vernunft sind, und auf der anderen Seite die, die dagegen sind. Und wer für die Vernunft ist, der ist eben auch dafür, Flüchtlinge aufzunehmen. Er kann gar nicht anders, es ist die Konsequenz all dessen, wofür die Herrschaft der Vernunft seit der Aufklärung steht: Gleichheit, Freiheit, Menschenrechte. Es sind die “unalienable Rights”, von denen Jefferson spricht, “Life, Liberty and the Pursuit of Happiness”, sie sind nicht an eine Nation gebunden, wie es die Deutschland-Egoisten wollen, sie sind universell gültig. (…) Es ist Zeit, dass man sich entscheidet, auf welcher Seite man steht. Auf der Seite der Vernunft oder ihrer Feinde. Die Demokratie ist eine Regierungsform geboren aus der Vernunft; wenn die Vernunft endet, endet auch die Demokratie.
Georg Diez, Vernunftfeinde, in: Spiegel Online vom dreizehnten Dezember Zweitausendundfünfzehn