Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne, es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Bertolt Brecht, Das Lied von der Moldau
Vollkommen Subjektives von Wolfgang Horn
Ich muß gestehen, daß ich nur selten das Wort zum Sonntag sehe. Ja, das Wort zum Sonntag, das allwöchentlich am Samstagabend in der ARD zu sehen ist, nach Krimi oder Unterhaltungsshow. Eine kurze Fernsehpredigt, evangelisch, katholisch, weltlich. Gestern mal wieder. Zum vermeintlichen Unwort des Jahres. Eine Gardinenpredigt. Gehalten von der Pastorin Annette Behnken.
Wenn man das Unwort des Jahres ernst nimmt, dann bin ich jetzt offiziell ein bisschen bescheuert. Das Unwort des Jahres ist Gutmensch. Gutmensch wird benutzt, um Menschen, die sich für andere einsetzen als naiv und dumm hinzustellen. Wer noch an etwas glaubt, wer hilfsbereit und tolerant ist, sieht angeblich die Realität nicht. Ich sehe das ganz anders: Gutmenschen sind keine Träumer, sie stehen mit beiden Beinen in der Realität, aber gehen anders mit ihr um. Und genau die brauchen wir: Viele Gutmenschen. Weil gerade viel auf dem Spiel steht. Wir haben Angst und Sorge und Wut. Nach dem Anschlag von Istanbul. Und, auch wenn es etwas ganz anderes ist, nach den Übergriffen von Köln. Die Rufe nach schnellen Lösungen werden lauter. Lösungen, die aus Angst und Wut geboren werden. Wenn wir straffällige Migranten und Asylbewerber ohne gerichtliche Prozesse ausweisen, dann lösen wir damit die Probleme nicht, wir schieben sie nur weg von uns und verabschieden uns gleichzeitig von den Prinzipien unseres Rechtsstaates. Und ich halte es auch für eine Illusion, zu meinen, wenn wir alle fremden Menschen an unseren Grenzen stoppen, dann wäre die Welt wieder in Ordnung. Nichts wäre in Ordnung. Ausgrenzen und abschotten ist nur scheinbar eine Lösung, schnell und oberflächlich. Vor zunehmendem Hass und sinnloser Gewalt schützt das nicht. Im Gegenteil. Es ist der Abschied von den humanitären Werten, von der Menschlichkeit, die die Basis unserer Gesellschaft ist. Wir suchen nach Antworten. Und die liegen nicht auf der Hand. Auf der Suche nach Lösungen brauchen wir Mut, offen zu reden, uns auch zu streiten. Und wir brauchen Geduld. Hass ist nicht mal eben und schon gar nicht militärisch zu besiegen. Hass schleicht sich durch alle Absperrungen und Grenzen. “Tut Gutes denen, die Euch hassen” Ein altes Wort, eine uralte Haltung. Von einem “Gutmenschen” namens Jesus. Das ist Irrsinn eigentlich angesichts der Bedrohung durch Terrorismus. Und klingt ungeheuer naiv angesichts des menschenverachtenden Fanatismus. Aber trotzdem: Ich bin überzeugt davon, dass es nur so gehen kann: Tut Gutes denen, die Euch hassen. Wir müssen uns schützen – das ist klar. Wer Unrecht verhindern kann, muss das tun. Und die Straftaten von Köln müssen verfolgt werden, das ist auch klar. Mit den Mitteln, die wir jetzt schon haben, mit den Mitteln des Rechtsstaates. Wenn wir uns dabei aber von unseren humanitären Werten verabschieden, dann hat der Terror gewonnen. Es ist eine Bewährungsprobe unserer Werte. Und deshalb brauchen wir Gutmenschen. Mutige Gutmenschen, die natürlich auch Angst haben und Wut. Aber sie geben der Angst und Wut nicht die Macht, sie lassen sich davon nicht leiten. Und geben nicht auf: “Tut Gutes denen, die Euch hassen”. Widerstand von mutigen Gutmenschen. Das halte ich für das Gebot der Stunde.