Tag: 5. Juni 2016

Die Macht des Wortes

Jetzt ist er wieder im Gerede. Edmund Stoiber. Als Nachfolger von Gauck auf dem Stuhl des Bundespräsidenten. Stoiber wird also für ein Amt gehandelt, dessen eigentliche Kaft und Stärke aus der Macht des Wortes seines Inhabers besteht. Auf dem Neujahrs-Empfang der CSU München am einundzwanzigsten Januar Zweitausendzwei hat dieser Bundespräsidentenkandidat eine berühmte Rede gehalten, die “Transrapidrede”. Jonny König edelt diese Rede zur Kunst.

“Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München … mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen … am … am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug. Zehn Minuten. Schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an, wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo, meine sehr … äh, Charles de Gaulle in Frankreich oder in … in … in Rom.

Wenn Sie sich mal die Entfernungen anschauen, wenn Sie Frankfurt sich ansehen, dann werden Sie feststellen, dass zehn Minuten Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen, um ihr Gate zu finden. Wenn Sie vom Flug … vom … vom Hauptbahnhof starten – Sie steigen in den Hauptbahnhof ein, Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in … an den Flughafen Franz Josef Strauß.

Dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München. Das bedeutet natürlich, dass der Hauptbahnhof im Grunde genommen näher an Bayern … an die bayerischen Städte heranwächst, weil das ja klar ist, weil auf dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen.”

Klima-Wandel

Übrigens: Gestern war meteorologischer Sommeranfang. Der höchste Sonnenstand über der Nordhalbkugel wird zwar erst zum kalendarischen Sommeranfang am 21. Juni erreicht. Aber Hand aufs Herz: Der Sommer hängt uns doch schon angesichts der aktuellen Chaoswochen zum Halse raus. Viele Sommermetaphern und -empfindungen kommen uns nicht nur furchtbar antiquiert und deplaziert vor, sie sind auch klimatologisch höchst fragwürdig geworden. Und zwar keineswegs auf der spekulativen Ebene. Evidenz dafür ist ausreichend vorhanden.

Die Klimazonen auf dem Planeten verändern sich, weil sie von Natur aus veränderlich sind. Aber wie lange sollen sich Meteorologen, die wie kaum eine zweite Forschergilde öffentlich Gehör finden, hinter einem ominösen statistischen Rauschen verstecken, nur weil sie das Offenkundige – den beschleunigten Klimawandel – als politische Korrektheit und deswegen als unangemessene wissenschaftliche Interpretation betrachten? Die meteorologische Expertise steckt selbst in einem Tiefdrucksumpf. Sie täte auch deshalb gut daran, ihre verquasten klimatologischen Sprachregularien aufzugeben, weil sie mit zweideutigen Ausflüchten die antiwissenschaftlichen Ressentiments nur mehr schürt. Dass die AfD im Gleichklang mit dem amerikanischen Präsidentschaftsbewerber Trump ausgerechnet nach dem historischen Triumph des Pariser Weltklimavertrags selbst die seriösesten Aussagen zum globalen Wandel attackieren, ist mehr als ein Wink, dass die Menschen zwar viel übers Wetter, aber wenig genug über den Klimawandel wissen.

Joachim Müller-Jung, Klimawandel. Der unglaubliche Eiertanz der Meteorologen, in: Frankfurter Allgemeine von zweiten Juni Zweitausendsechzehn