(…) Auch in England oder Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland ist jener anti-aufklärerische Gestus en vogue, der absichtsvolle Ignoranz als Instrument der politischen Selbstvermarktung nutzt. So gerieren sich Politikerinnen und Politiker der neuen Rechten oder der Europa-Skeptiker als anti-elitär, als volksnah und hyper-authentisch – dabei verstehen sie unter Volksnähe lediglich das Leugnen von Tatsachen und das Verschlichten der Welt. Die Wirklichkeit wird zu geistiger Babynahrung verrührt, damit sie sich in möglichst unterkomplexen, aber wohlklingenden Erzählungen darbieten lässt. Wenn ökologische, ökonomische oder soziale Realitäten der Simplifizierung entgegenstehen, werden sie einfach geleugnet und durch leichter verdauliche Lügen ersetzt.(…) Nachdenklichkeit und Sachkunde werden als angebliche Signaturen einer faulen Bildungselite denunziert (als wäre Bildung ohne brutalen Fleiß zu haben). Dabei zeugt es ja gerade von der erstaunlichen Menschenverachtung der Populisten, Dummheit für prinzipiell volksnäher zu halten als Intelligenz und Bildung. (…) Es ist nicht cool, ignorant zu sein. Es ist einfach nur ignorant. Es ist auch nicht hip, rassistisch und verlogen zu sein. Es ist einfach nur rassistisch und verlogen. Es ist nicht mutig, gegen Migrantinnen und Migranten oder gegen Intellektuelle oder gegen Europa zu hetzen. Es ist nur Hetze. Die komplexe Wirklichkeit verschwindet nicht, nur weil Populisten sie leugnen. Die Globalisierung löst sich nicht auf, nur weil jemanden die Kontrolle über die eigenen Grenzen verspricht. Die unangenehmen Wahrheiten werden nicht weniger wahr, nur weil Populisten sie nicht aussprechen. Moralische Argumente verlieren nicht ihre Gültigkeit, nur weil Populisten sie als “politisch korrekt” diffamieren. Vor allem aber: Populisten werden nicht ehrlicher, nur weil sie Volksnähe simulieren. Populisten, vielleicht ist das endlich mit dem verantwortungslosen Gebaren der britischen Brexit-Aktivisten deutlich geworden, nehmen nicht die “Sorgen der Menschen” ernst. Sie nehmen nicht einmal Menschen ernst. Am allerwenigsten die “einfachen Leute”. Sie dienen ihnen nur als Spielfiguren in einem Spektakel, das sie aufführen, solange es sie allein amüsiert.
Carolin Emcke, Kolumne: Torheit, in: Süddeutsche Zeitung vom achten Juli Zweitausendsechzehn