“Es läuft etwas schief bei uns …”

“Guten Morgen, auf vielen Titelseiten wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der von Brüssel nach Berlin umziehen will, heute wie ein Erlöser gefeiert. Dass viele Medien diesem im Volk weithin unbekannten Mann – der die Zulassung zum Abitur nicht schaffte, wenig später zum Trinker wurde, bevor er als grantelnder Abstinenzler für 22 Jahre im Brüsseler Europaparlament verschwand – plötzlich die Befähigung zur Kanzlerschaft zutrauen, ist nur mit journalistischer Telepathie zu erklären. Einer fühlt, was der andere nicht denkt. Alle beten, was keiner glaubt. Und Schulz, derart berauscht, bereitet sich wahrscheinlich auf die Papstwahl vor. Italienisch spricht er ja schon…“

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Das war am fünfundzwanzigsten November des Jahres im Newsletter des Handelsblattes zu lesen. Verfaßt vom Gabor Steingart, Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe HandelsblattPeter Ruhenstroth-Bauer, Rechtsanwalt und selbstständiger Kommunikationsberater, hat darauf in Carta geantwortet. Hier ein Teil seiner Replik:

Es läuft etwas schief bei uns, wenn der Herausgeber einer weithin nicht unbekannten Wirtschafts- und Finanzzeitung in sechs Sätzen einen Politiker so menschenverachtend beschreibt. Das, was da als journalistisch flotter morgendlicher Anreißer daherkommt, ist in Wahrheit eine ganz bewusste Grenzüberschreitung. Sie muss Empörung und lauten Widerspruch bei all denen hervorrufen, die sich Sorgen um die gesellschaftspolitische Entwicklung und auch die journalistische Berichterstattung in Deutschland machen. Da wird in kurzem Staccato einer niedergemacht. Ein Politiker, also einer, bei dessen Kritik man sich des Beifalls des Publikums schnell sicher sein kann. Hier aber kommt hinzu, dass in Stürmer-Manier alles in ein Konzentrat gegossen wird, dass den Menschen Schulz in sechs Sätzen erledigt. Man kann zu dem Politiker Schulz stehen wie man will. Viele Portraits über Martin Schulz berichten von seinen Schwächen; so seinem Drang, als „Rampensau“ immer nur ganz vorne stehen zu wollen. Man kennt aber auch seine Stärken, die ihm im Europaparlament auch von Parlamentariern anderer Fraktionen zugesprochen werden: einer, der dem Europaparament in schwierigen Zeiten ein Gesicht gegeben hat. Wenn wir zulassen, dass wieder so über Parlamentarier geschrieben wird, können wir uns schon bald auf die nächsten „Einordnungen“ des Herausgebers freuen. Da steht dann sicher der schwule Staatssekretär, der behinderte Minister oder der Türke im Parlament auf der Tagesordnung. Steingart weiß, was er schreibt. Vor zehn Tagen, als Frank-Walter Steinmeier offizieller Bundespräsidentenkandidat von drei Parteien wurde, twitterte Steingart: „Präsidentenwahl ohne Wahl. Die Führung in Nordkorea dürfte neidisch auf uns sein.“ Sein Text ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die „das etablierte Establishment und ihre Politiker“ verteufeln. Manch einer reibt sich verwundert die Augen, wenn er bei den letzten Wahlen und den bald wöchentlichen Meinungsumfragen die Erfolgskurve der AfD sieht. Postfaktisches Zeitalter, rassistischer und sexistischer Wahlkampf à la Trump und jetzt auch noch einen täglichen Welterklärer, der diese Entwicklung mit seinen Zuspitzungen schleichend weiter forciert.

Meine Bitte: Lesen Sie bitte den kompletten Beitrag in Carta, nicht nur den hier veröffentlichten Teil der Antwort von Peter Ruhenstroth-Bauer. Und dann Freunde informieren, den Beitrag weitersenden, teilen. Man darf das alles nicht mehr auf sich beruhen lassen. Machen wir uns Mühe.

1 Kommentare

  1. Michael Lichtenberg

    Ja, etwas läuft schief in unserer Gesellschaft – und das schon lange. “Etwas” verharmlost den Vorgang sehr, denn es gibt viel, was schief läuft. Von misslungener, bzw. nicht erfolgter oder erfolgenden Kindererziehung bis zum erheblichen Verlust an Respekt vor allem und jedem. In jüngerer Zeit mehrfach zu lesen – Rettungskräfte, Polizistinnen und Polizisten, Lehrerinnen und Lehrern und auch Politikerinnen und Politikern. Nicht das ich falsch verstanden werde, Kritik, berechtigte und konstruktive gehört zu den Bausteinen unserer Demokratie.
    Was hier geschehen ist, ist geschmacklos und ehrabschneidend.
    Leider ist das auch kein Einzelfall. Wie der Ministerpräsident unseres südlichsten Bundeslandes mit seiner Kanzlerin verfährt ist ebenso verwerflich. Als Mitglied der Regierungskoalition geht er mit seiner “Vorgesetzten” in höchstem Maße respektlos und illoyal um.
    Im richtigen Leben würde so ein Verhalten möglicherweise mit fristloser Kündigung geahndet werden.
    Diese Vorgänge besorgen mich sehr.

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