Monat: Juni 2018

Weltflüchtlingstag

Weltflüchtlingstag. Heute. In diesen Zeiten. Zeiten, in denen der Anstand auf der Strecke zu bleiben scheint, der politische Verstand, die Fähigkeit, vermittelnd zu reden und zu schreiben, in denen gespalten wird, statt zu einen, in denen auf Schwache und Notleidende sowie ihre Helfer verächtlich gespien wird und jene Konjunktur zu haben scheinen, die lügen, verdrehen, gegen Minderheiten hetzen, das Land spalten, bislang Unsagbares aussprechen, Undenkbares formulieren, unsäglich agieren. Aus Überzeugung oder weil man sich Erfolge verspricht im Kampf um die politische Macht.

Weltflüchtlingstag. Alles ist bekannt. Die Zahlen, die Umstände von Flucht und Vertreibung, die Kriege und Bürgerkriege, die sozialen Verhältnisse, die Not, die Schlepperbanden, die politisch Verantwortlichen, alles und alle.

Ende Zweitausendundsiebzehn waren achtundsechzigeinhalb Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Im Schnitt wird alle zwei Sekunden jemand auf der Welt zur Flucht gezwungen. Zwei Drittel der Flüchtlinge kommen aus nur fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Weltweit ist jeder einhundertzehnte Mensch auf der Flucht. Dreiundfünfzig Prozent der Flüchtlinge weltweit sind Kinder. Fünfundachtzig Prozent der Flüchtlinge leben in Entwicklungsländern. Rund dreißig Millionen Kinder und Jugendliche sind auf der Flucht vor Konflikten – mehr als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Dreihunderttausend Heranwachsende sind unbegleitet oder von ihren Eltern getrennt unterwegs. Unbegleitete Mädchen und Jungen werden häufig Opfer von Menschenhandel, Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch. All das ist bekannt. Niemand kann sich mit dem „Das haben wir nicht gewußt“ herausreden.

Weltflüchtlingstag. Heute. Einst hieß man ihn Welttag der Migranten und Flüchtlinge. Als er Neunzehnhundertvierzehn von niemand Geringerem als von Papst Benedikt dem Fünfzehnten mit dem Dekret Ethnografica studia unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges ausgerufen worden war. Vom Papst. Nicht von Frau Merkel. Nicht von den so geschmähten „Gutmenschen“. Nicht von den „Rot-Grün-Versifften“. Vom Papst. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, daß Aufmerksamkeit und Hilfe für Flüchtlinge ein zutiefst menschliches, auch ein zutiefst christliches Anliegen ist.

Null zu Null

Ägypten und Uruguay gurken sich ein torloses Unentschieden zusammen. Bis zur siebenundsechzigsten Minute jedenfalls, in der ich mir dies von der fußballbegeisterten Seele schreibe. Diese beiden Weltmeisterschaftsteilnehmer verursachen in etwa soviel Spannung beim neutralen Zuschauer wie eine Partie zwischen dem SV Elversberg und dem KSV Hessen Kassel, ohne diesen Regionalligisten zu nahe treten zu wollen. Warum nur in Gottes Namen sollen bei der nächsten WM achtundvierzig statt, wie bislang, zweiunddreißig Mannschaften teilnehmen? Klar, ich weiß, wegen der Einnahmen für die FIFA. Dann aber wird mehr als die Hälfte aller Spiele um die Weltmeisterschaft ein Niveau haben wie die heutige Paarung. Und eine solche Spannung erzeugen. Ein Lehrstück: Wie der Kohle wegen der sportliche Wert einer WM riskiert und Spannung und Unterhaltung für die Zuschauer bedeutungslos wird. Ach ja: Auch in der neunundsiebzigsten Minute steht es noch Null zu Null zwischen Ägypten und Uruguay.

Nachtrag: Auweia, in der neunundachtzigsten Minute gelingt Uruguay dann doch noch das Tor. Das aber ändert an der Armseligkeit des Spiels gar nichts.

All Along The Watchtower

All Along the Watchtower. Bob Dylan. Dann – und entscheidend –  Jimi Hendrix.
Der Frankfurter Musikjournalist Volker Rebell nannte die Hendrix-Version „die Essenz der Rockmusik schlechthin“. Das Stück wurde von unzähligenMusikern und Gruppen gecovert. Eric Clapton, Steve Vai, Neil Young, Bryan Ferry, U2, Dave Mason, Paul Weller, Pearl Jam, XTC, Grateful Dead, Werner Lämmerhirt, Jan Akkerman oder Chris de Burgh. Hier nun die Version von Playing For Change. “There must be some kind of way out of here.”

„Sätze mit Anfang und ohne Ende“

Und die CSU-Größe Edmund Stoiber, der wieder Sätze mit Anfang und ohne Ende sprach und es schaffte, in einem einzigen Redeabschnitt die Wörter Bayern, Sowjetunion, Kulturpolitik, Schüleraustausch, Wirtschaftsannäherung, Kalter Krieg, Bipolare Welt, Washington, Moskau, Weltgeschehen, Putin, Jelzin, Eurasische Union, Europäische Union, Wladiwostok, Lissabon, Westen, Vereinigte Staaten, Obama, Romney, Gefühlslage, Regionalmacht, Schuldzuweisungen sowie die Jahreszahlen 1990, 1991, 1993 und 1995 unterzubringen.

Martin Schneider, Anne Will über die WM. Arne Friedrich? Ist das alles?, in Süddeutsche Zeitung vom vierten Juni Zweitausendundachtzehn

Ein ebenso eindrucksvolles Beispiel für derartige Sätze gibt es hier.

Klassenclown

Meine eigene Karriere als Klassenclown ist, zugegeben, sehr, sehr lange her. Und mitunter erinnere ich mich nur mühsam. Sicher aber weiß ich, daß ich die dunkle, in unserem Falle grüne Tafel, nicht hätte mit dem Gesicht des Glücks übermalen können. Mir fehlten alle zeichnerischen Fähigkeiten für ein regenbogenfarben strahlendes Gesicht des Glücks. Gottlob aber ergaben sich ja vielfältige Möglichkeiten, die Fähigkeiten als Klassenclown zu proben und zu entfalten. Wie komme ich jetzt auf den Klassenclown? Heute wird weltweit der Internationale Kindertag begangen. Lediglich in Deutschland und in Österreich feiern wir den Weltkindertag am zwanzigsten September. Sei‘s drum. Jacques Prévert, der trotz mißratener Schulkarriere als leidenschaftlicher Schwänzer zum großen französischen Dichter avancierte, hat sich in seiner literarischen Kunst deutlich gegen die Zurichtung der Kinder in der Schule ausgesprochen. Beispielsweise hat er auch über den Schulversager geschrieben, in dem er die “Gefangennahme” des kindlichen Geistes in der Schule kritisiert, in der das Kind seiner individuellen Kraft beraubt werde. Und was für ein Szenario: die gescheitelten Köpfe der Musterschüler, der Lehrer mit dem lauernden Blick, Fragen als Salven, Problemkugelhagel.

Der Klassenclown

(nach Le cancre; aus: Paroles, 1946)

Unter ihm

die gescheitelten Köpfe

der Musterschüler,

vor ihm

der lauernde Blick

des Lehrers.

Die Salven der Fragen

prasseln auf ihn ein,

er taumelt

im Kugelhagel der Probleme,

die nicht die seinen sind.

Plötzlich aber

lacht sich der helle Wahnsinn

durch sein verdüstertes Gesicht.

Er greift nach dem Schwamm

und wischt es einfach weg,

das Labyrinth aus Zahlen und Fakten,

aus Daten und Begriffen,

aus Phrasen und Formeln,

und übermalt

unter dem Gejohle der Klassenmanege

regenbogenfarben

die dunkle Tafel des Unglücks

mit dem strahlenden Gesicht des Glücks.