Das Problem ist eher, dass die Programmplaner so sehr auf die Erfüllung von Publikumserwartungen, auf verlässliche Verstörungsfreiheit setzen, dass überraschende, komplexere Inhalte ins Nachtprogramm oder gleich zu 3sat oder Arte abgeschoben werden. Das konzeptionell Abgeriegelte, das Durchformatierte überwiegt in den Hauptprogrammen. Man kann das auch im dokumentarischen Fernsehen sehen, jenseits von Pilcher. Seit vergangener Woche gibt es neue Zahlen dafür. Da stellte der Medienjournalist Fritz Wolf seine Studie Deutschland – Doku-Land vor. 75 bis 80 Prozent der dokumentarischen Sendungen können heute als formatiert bezeichnet werden, noch mehr als in der Vergleichsstudie von 2002. Dokumentarisches Fernsehen sei „erzählerisch und ästhetisch ärmer und gleichförmiger geworden“. Die Formatierung , schreibt Wolf, verenge „den Blick auf die Wirklichkeit, weil es of nicht um Beobachtung der Realität geht, sondern um Umsetzung von Konzepten“. (…)
Aus Sendersicht nachvollziehbar: Bei ZDFzoom, 37 Grad oder oft auch bei der WDR-Reihe Menschen hautnah (die jüngst damit in die Schlagzeilen geriet, dass Protagonisten auf kommerziellen Komparsen-Plattformen gecastet worden waren) weiß der Zuschauer vorher, dass er nicht überfordert wird. Womöglich ist der Erfahrungswert, dass weniger Leute wegschalten, wenn die Realität nicht zu vielschichtig dargestellt ist. Allerdings erinnert das auch an eine Kinderspeisekarte: Kinder wollen Pommes, also gibt es Pommes. Auch ein Erfahrungswert, den man schwer wegdiskutieren kann: Jede Art von nicht fritiertem Essen funktioniert nicht.
Klaus Raab, Rosamunde ist tot, das Prinzip Pilcher lebt. Fernsehen: Die Publikumszentrierung der Öffentlich-Rechtlichen ist nachvollziehbar. Schlau ist sie nicht, in: Freitag, Ausgabe Sieben aus Zweitausendundneunzehn