Was soll man sagen? Diese Fußballeuropameisterschaft, von intelligenzbefreiten UEFA-Funktionären ausgedacht und skrupellos umgesetzt, ist in pandemischen Zeiten an sich schon ein Superspreaderereignis. Intelligenzbefreite und alkoholgesättigte Engländer machen das Endspiel in Wembley zum absoluten Spreaderhöhepunkt, zum Superspreadersonntag. Delta hat schon gewonnen, gleich, wer den Pokal am Ende des Finales in die Höhe recken wird. Die Infizierten, die Kranken, die Intensivpatienten und vielleicht die Bestattungsunternehmen im Land werden es UEFA, englischer Football Association und Boris Johnson und seinen Kumpanen in Partei und Regierung danken. Von wegen Krone der Schöpfung.
Tag: 11. Juli 2021
Joe
Armutszeugnis
Es gibt kein Armutszeugnis. Jedenfalls nicht in dieser Angelegenheit. Das Zeugnis der Armut ist eine behördliche Beglaubigung des Anspruchs auf Armenrecht. Und das Armenrecht will der WDR doch gewiß nicht in Anspruch nehmen. Eine Zuschauerbefragung habe ergeben, dass die Mehrheit des Publikums kein Interesse an Büchern habe. Deshalb streicht der größte Sender der Republik die Fünf-Minuten-Rubrik in Frau-TV, in der Christine Westermann regelmäßig zwei Bücher vorgestellt hat. Wie genau das Ergebnis zustande gekommen ist, wer befragt wurde, wie die Fragestellung lautete, das alles wissen wir nicht, das Publikum. Das ist kein Armutszeugnis. Das ist das selbstausgestellte Zeugnis geistiger und moralischer Beschränktheit. Die Empfehlungen von Christine Westermann schafften es regelmäßig in die Bestsellerlisten. Baucht man mehr Argumente dafür, Hinweise auf Bücher überhaupt zu senden, und dafür, sie von dieser Autorin erstellen zu lassen? Muß man wirklich das WDR-Gesetz bemühen, den dort formulierten Bildungsauftrag, um die Entscheidung gräßlich zu finden, kulturlos und borniert? Das Schielen nach der Quote ist kein Schielen mehr, das ist eine fundamentale Fehlsichtigkeit. Das Armutszeugnis ist in Wirklichkeit ein Offenbarungseid. Der WDR macht deutlich, daß er kein Interesse an Programmvermögen mehr hat, sondern an der billigen, schnellen Ware, an Sendungen mit kurzem Haltbarkeitsdatum. Die Programmverantwortlichen betreiben selber die Delegitimation ihres Senders.
Endspiel
Das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft Neunzehnhundertsechsundsechzig habe ich als Fünfzehnjähriger in Konstanz erlebt, in einem Urlaub am Bodensee, in den ich mit einem Freund aus Schule und Schwimmverein, Dieter, ohne Ziel losgetrampt war und heimlich, ohne es je zu sagen, Schweden anvisiert hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Endspiel war am dreißigsten Juli. In einer vollen Kneipe. Und stinksauer ob drittem Treffer und Albions Sieg haben wir das Etablissement verlassen. Gewiß auch niederlagentrunken, wobei ich das nicht mehr wirklich gut vor Augen habe. Seither sind Zwanzigtausendundsiebzig Tage vergangen. Oder vierundfünfzig Jahre, elf Monate, elf Tage, ohne den heutigen. So lange hat England in keinem Endspiel eines bedeutenden Fußballturniers gestanden. Eine Lange Zeit. Ich bin heute siebzig. Ich werde das Spiel zu Hause ansehen, nicht in einer Kneipe, wie weiland als pubertierender Knabe. Vielleicht machen die Italiener ja heute gut, was die englischen Fußballer um Hurst, Banks und die Charlton-Brüder seinerzeit in mir angerichtet hatten. Hurst vor allem, der nicht nur das irreguläre Tor erzielt hatte, das Dritte, das Berühmte, sondern auch noch zwei andere. Damit wäre dann auch der illegitime Elfmeter gesühnt, der die tapferen Dänen benachteiligt und den englischen Kickern erst die Teilnahme am Endspiel verschafft hat.