Geburtstagsverschiebung 

Der achte November. Am kommenden Montag wieder. Vermutlich ist der achte November kein Tag für die Geschichtsbücher. Anders als sein Nachfolger, der Neunte Elfte, der als Schicksaltag der Deutschen gilt, wie ich an verschiedenen Stellen in diesem Blog bereits beschrieben habe und wie mit Hilfe der Suchfunktion ganz leicht herauszufinden ist. Der achte November ist indes ein Tag von großer privater Bedeutung. Meine Mutter Lisette ist am achten November in Rotterdam geboren worden. Als Tochter eines Partikuliers, eines Rheinschiffers, den ich nie habe kennenlernen dürfen, weil er bei einem Brand auf seinem Schiff nach einem Bombenabwurf ums Leben kam. Der achte November, Lisettes Geburtstag, ist seit Zweitausendsieben, dem Jahr in dem sie gestorben ist, der Tag, an dem die Familie in ihrer, Lisettes, Lieblingskneipe in Köln-Porz zusammenkommt und das eine oder andere Kölsch trinkt auf die Frau, die Zeit ihres Lebens den Laden zusammengehalten hat, die Familie, ihre Schwestern und Brüder, Söhne und Schwiegertöchter, Enkelsöhne und Enkeltöchter. Und dann werden die Geschichten erzählt, teils zum x-ten Male, wie sie etwa Jahr für Jahr ab September bereits allen, die es hören oder nicht hören wollten, am Telefon mit diebisch-kindlicher Freude berichtet hatte, was sie schon für den Weihnachtsgabentisch irgendwo ergattert hatte. Keine der skurrilen Begebenheiten mit meiner Mutter fällt auf diese Weise dem Vergessen anheim. Das Kölsch lockert die Zunge und aktiviert das Gedächtnis. Am Montag wäre es wieder so weit gewesen und der ganze Clan hatte sich schon auf die Geschichten gefreut, die doch alle bestens kennen, und das gemeinsame Kölsch. Aber mein Lieblingsneffe hat die Tischreservierung abgesagt. Wegen der Corona-Pandemie. Wir haben beschlossen, den Geburtstag meiner Mutter einmalig und aus der Pandemienot heraus in den Januar zu verlegen oder in den Februar, jedenfalls in eine Zeit, in der zusammenzukommen keine Gefährdung älterer oder ohnehin mit einem Gesundheitsrisiko lebender Familienmitglieder mehr darstellt. Bei aller Lust aufs Geschichtenerzählen und Kölschtrinken, soviel Vorsicht muß sein – und Rücksicht. Und: Lisette wäre, bei aller Unvernunft, die sie ausgezeichnet hatte, gewiß auch für die einmalige Geburtstagsverschiebung zu haben gewesen.

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