Monat: April 2022

Perdu

Mal angenommen, ich hätte in ein Drehbuch für einen sich kritisch mit der Gegenwart der Katholischen Kirche auseinandersetzenden Film geschrieben, daß der Kölner Kirchenapparat mit mehr als einer Million Euro die Spielschulden eines Pfarrers samt der folgenden Steuern aus einem Finanztopf beglichen hat, der für die Entschädigungen von Mißbrauchsopfern durch katholische Priester und Nonnen vorgesehen ist. Das hätte mir weiß Gott jeder Redakteur bei jeder Fernsehanstalt sofort gestrichen und als aufgesetzt moniert, als vollkommen wirklichkeitsfremd, als ideologisch und kirchenfeindlich. Tja. Was soll man sagen? Es ist die nackte Wahrheit. Wenn das Adjektiv in diesem Kontext statthaft ist. Dieser Kirche kann man nur wüschen, daß auf der Stelle alle Verantwortlichen in der Kirchenverwaltung in Köln samt des Erzbischofs an der Spitze sofort entlassen und in Regress genommen werden. Die Katholiken in diesem Erzbistum haben einen radikalen Neuanfang ihrer Kirche verdient. Ansonsten sind alle Osterhoffnungen auf eine Renaissance der Kirche perdu und sie wird schneller in der Bedeutungsarmut verschwinden, als man anzunehmen geneigt ist.

Dielektra-Ruinen-Drohnenflug

Der Drohnenflug über und durch ein verfallenes Fabrikgebäude in Porz ist gleichsam eine Begegnung mit der eigenen Geschichte – im Flug. Hier, in der Dielektra in Porz, einst eine der größten Fabriken im heutigen Kölner Stadtteil, wurden Isolatoren aus Glimmer, Monazit und Feldspat hergestellt, später Halbleiter und Platinen. Meine Mutter hat als junge Frau dort gearbeitet, in den fünfziger Jahren, im Akkord. Ich habe hernach schräg gegenüber in der Kneipe am Bahnhof die gymnasialen Hausaufgaben von Klassenkameraden abgeschrieben, zu denen ich am Vortag nicht gekommen bin, weil wahlweise Fußball, der Schwimmverein oder die Weltrevolution vorgingen. Später hat ein Freund aus Wermelskirchen diese Firma gekauft, Ralf Nickel. Über ihn, den Wermelskirchener Unternehmer, und seine Firma in Porz habe ich dann einen meiner ersten Filme für den WDR gemacht. Tempi passati. Ralf Nickel ist früh verstorben, mit siebenundfünfzig Jahren, die Dielektra eine Ruine, schon lange, meine Mutter Lisette wird auch im Himmel keinen Glimmer mehr bearbeiten und ich mache weder Hausaufgaben noch Filme mehr.

Der Stempel

Der Stempel steht gleichsam für ein behördliches OK. Was gestempelt wurde, hat das bürokratische Ritual erfolgreich durchlaufen. Wo der Stempel fehlt, dort herrscht Stillstand. Ohne den erforderlichen Stempel kann kaum etwas bewerkstelligt, kaum etwas in Gang gesetzt, fast nichts wirklich zufriedenstellend geregelt werden. Ukrainische Flüchtlingskinder machen in einer Leipziger Kita nun auf abstoßende Weise Erfahrung mit der Bedeutung eines Stempels in Deutschland. Bei der Kita “Um die Welt” in Leipzig-Grünau ist der Name Programm. Hier werden rund zweihundert Kinder aus vielen unterschiedlichen Nationen betreut und jetzt sollen noch drei Flüchtlingskinder aus der Ukraine den Kita-Alltag bereichern. Sollten. Die Kinder sind angemeldet, die Eltern registriert, gemeldet und beziehen bereits Sozialleistungen. Nur der Stempel vom Sozialamt unter dem Antrag für Bildung und Teilhabe, kurz BUT, fehlt noch. Erst wenn der drauf ist, dürfen die Kinder in die Kita, denn nur dann ist auch geklärt, dass das Mittagessen bezahlt wird. Gottes Mühlen und die der deutschen Bürokratie mahlen eben langsam. Ohne Stempel gibt es für die drei ukrainischen Kinder eben nichts zu essen. Basta. Da kann auch der Flüchtlingsrat in Sachsen lange die unzumutbaren Wartezeiten beklagen. Von mehreren Wochen ist die Rede, wenn es um Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geht. Es muß eben alles seine Ordnung haben in Schland. Meine Güte.