Seit vermutlich mehr als fünfundsechzig Jahren schon interessiere ich mich für Fußball. Als Kind und Jugendlicher habe ich selber gekickt, auch noch als junger Erwachsener. Immer und immer wieder habe ich unzählige Fußballspiele erlebt, zwischen Kreis- und Bundesliga, zwischen Kreisauswahl oder Nationalmannschaft. Für Fernsehfußball hat man mich nächtens wecken können. Natürlich sind „der Platz“ und „der Verein“ eine Umgebung, in der man, als Verrückter, gehäuft auf Verrückte trifft. Mehr noch: Vermutlich hätten Platz und Verein, der Fußballsport an sich, jedenfalls der große Amateurbereich, weder Gegenwart noch Zukunft ohne die vielen Verrückten, die ehrenamtlich den Fußball am Leben halten, ohne die Vereinsmeier, ohne die Zahllosen, für die der Verein Leben ist, Familie, Schutzmauer. Wenn Fußball die Lebensmitte ist, dann ist man eben verrückt. Dann zirkuliert das Leben zwischen Heim- und Auswärtsspielen, Training, Fahrten zu den Auswärtsspielen, Mitgliederversammlungen, Stammkneipen, Vereinsfesten. Die Gesprächsthemen kreisen um den Fußball, um Abseitsfallen und Mittelstürmer, um Trainerwechsel und Videobeweise, quer durch alle Ligen, quer durchs ganze Land, quer durch alle TV-Kommentare. Dieses gerüttelte Maß an Verrücktheit ist gleichsam die Gesundheitsgarantie für die vielen Millionen Fußballanhänger in der ganzen Republik und weit über sie hinaus. Richtig krank ist und macht der Fußball, wenn diese liebenswerte Verrücktheit, diese harmlos-provinzielle Kicker-Narretei verschwindet hinter Leben und Gesundheit gefährdender Gewalt, hinter jede Moral, jeden Anstand, jede Erziehung negierendem Hooliganismus, hinter Gewaltbereitschaft und Extremismus. Wenn beim Auswärtsspiel des 1.FC Köln in Nizza vermeintliche Fans den sogenannten „Hitlergruß“ zeigen und hemmungslos auf gegnerische Fans eindreschen und auch Unbeteiligte drangsaliern, wenn sie ganze Innenstädte verwüsten und Einheimische und Touristen beleidigen und gefährden, wenn Fangruppen allenfalls noch unter Polizeieskorten ins Stadion gelangen können, dann sind die Grenzen des Aushaltbaren, die Grenzen der Narretei bei Weitem überschritten. Vor wenigen Tagen waren es die Fans von Eintracht Frankfurt in Marseille. Gestern wurde die Verletzung eines Spielers beim Derby zwischen Dortmund und Schalke von gegnerischen „Fans“ höhnisch beklatscht. Auch auf den Kreisligaplätzen greift, dem Vorbild des „großen Fußballs“ folgend, die Anwendung von Gewalt um sich, Gewalt gegen gegnerische Spieler, Gewalt gegen Schiedsrichter, Gewalt auch gegen Zuschauer. Man könnte Tag für Tag berichten, immer wieder Beispiele zitieren dafür, daß in diesem Feld einiges aus dem Ruder läuft. Die Enthemmung und die Egomanie, die etwa in den sogenannten sozialen Medien zu beobachten sind, lassen sich auch auf und neben dem Fußballfeld studieren. Wenn dann schließlich diese gewaltbereite „Fußballszene“, wobei diese Bezeichnung in gewisser Weise irreführend ist, handelt es sich doch eher um eine den Fußball nutzende Gewaltszene, von rechtsextremistischen und rassistischen Kräften in Dienst genommen wird, ist es allerhöchste Zeit, für strikte Abgrenzung zu sorgen. Gewalt und Fußball, das geht nicht zusammen. Rassismus und Fußball, das geht nicht zusammen. Rechtsextremismus und Fußball, das geht nicht zusammen. Andernfalls wird es bald zu einem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust kommen. Wenn Sport nicht in Frieden stattfindet, wird er auf Dauer gar nicht mehr ausgeübt werden.