Max Liebermann, dem großen deutschen Maler, wird es zugeschrieben, das böse Wort vom Fressen und vom Kotzen. Als am Abend des 30. Januar 1933 die Nazi-Marschkolonnen nach der “Machtergreifung” durchs Brandenburger Tor zogen, an seinem Haus vorbei, soll er voller Sarkasmus gesagt haben: “Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“ Ich brauche jetzt keine Nazimarschkolonnen. Der Putinsche Winkelzug, die eben erst vereinbarten Getreidelieferungen aus ukrainischen Häfen jetzt nicht mehr zuzulassen und so den Hunger tausender, Millionen von Menschen zur Kriegswaffe in seinem Feldzug gegen die Ukraine zu machen, läßt mich speien. Der Krieg soll, so will es der kleine KGB-Beamte in seinem Kreml mit großen Sälen und langen Tischen, von somalischen Frauen und Kindern, von ägyptischen Armen, von Hungernden in ganz Afrika mit-entschieden werden? Krieg ist immer ein schäbiges Geschäft. Er geht immer auf die Kosten der kleinen Leute, der Vielen, der Namenlosen. Jetzt aber sollen die Leiden von Menschen tausende von Kilometern von Osteuropa entfernt zur Propagandabombe werden, zur Munition gegen das Nachbarvolk. Krank? Sollte man meinen. Jedenfalls inhuman, vollkommen unmenschlich, unzivilisiert. Unzivilisiert. Gegen alle Regeln. Zivile Infrastruktur wird zerstört, Menschen, Zivilisten, werden gefoltert und abgeknallt wie Kaninchen; die Russen fummeln an Atomkraftwerken herum, vielleicht an Stauseen und ihren Dämmen; Make Russia great again. Was für eine Scheiße. Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.
Monat: Oktober 2022
Shirley Paredes
Ein Malheur.
Meine Lunge ist krank und weil sie es alleine nicht mehr schafft, mein Herz und Hirn und den Rest ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen, habe ich zu Hause zwei dieser praktischen und letztlich das Leben rettenden Sauerstoffgeneratoren stehen. Einen, für den Dauerbetrieb geeignet, einen anderen, viel kleiner, der mit Batterie betrieben wird und folglich transportabel ist. Seit Tagen fühle ich mich angeschlagen. Mir fällt alles schwer, jeder Schritt, jede Tasse Kaffe, alles. Die Panik mehrt sich, also noch mehr Sauerstoff. Dauerberieselung. Mit dem Ergebnis, daß mir das kleine Meßgerät für die Fingerspitze anzeigt, daß ich einen Blutsauerstoffwert von achtundsiebzig aufweise, mal eins mehr, mal eines weniger. Jedenfalls keine achtzig. Das ist nicht schön. Heute Abend, am Fernseher taucht plötzlich die Idee auf, zu prüfen, ob denn überhaupt Sauerstoff durch die lange Leitung fließt. Nein, Nichts, wie bei der verdammten russischen Gasleitung. Der Fehler war aber schnell behoben, anders als bei russischem Gas. Ich kriege Luft, mehr als die letzten Tage. Ich kann entspannen und mich ein wenig erholen. Hoffe ich. Und an der Fingerspitze lese ich Werte zwischen vierundneunzig und neunzig ab. Immerhin.
Zivilgesellschaft
Als am Wochenende ein russischer Intellektueller und Schriftsteller, Viktor Jerofejew, Zweitausendzweiundzwanzig aus Rußland nach Deutschland emigriert, in der allsonntäglichen Fernsehgesprächsrunde mit sanfter Stimme, aber schneidendem Urteil beschrieb, daß dort in Rußland, in der Nachfolge der untergegangenen Sowjetunion, keine Zivilgesellschaft bestehe in dem Sinne, wie man das hierzulande kenne, da mochte ich sehr schnell einstimmen in die Beschreibung dieses Gastes, der und dessen Familie einst zur russischen Nomenklatura zählten. Meine eigenen Erfahrungen aus einer Reihe von Arbeits- und Aufenthaltsgelegenheiten in diesem schönen, großen Land waren, daß man auf sehr gebildete und hervorragend ausgebildete Menschen trifft, auf Wissenschaftler, Journalisten, Literaten, Historiker. Kennzeichen der Gesellschaft indes sind nicht das Argument und die Debatte, der Austausch und Wettbewerb der Ideen, sondern eher die Kraft und Macht des Starken, des Stärkeren und die Ohnmacht und der Rückzug der Schwächeren, die Unempfindlichkeit gegen Elend und Armut, mangelnde Empathie und verbreitete Achtlosigkeit. Wenn es im Zuge der Umwälzungen und Wirren der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhundert etwa möglich war, die Wohnung, die man in einem der unzähligen riesigen Wohnkomplexe bewohnte, kurzerhand zum Privateigentum zu erklären und fortan die Mietzahlungen sanktionslos einstellen konnte, kann man sich sogar vorstellen, daß und wie es möglich war, sich ganze Industrieunternehmen und gar Wirtschaftskomplexe unter den Nagel zu reißen und nunmehr privatwirtschaftlich zu betreiben. Nur eine Gesellschaft der Regellosigkeit und der Macht der Gewalt, die Herrschaft der Skrupellosigkeit und die vollkommene Unterdrückung von Gewissen und Verantwortung machen eine derartige Umwälzung und das Aufkommen von unkontrollierbaren Oligarchen möglich. Ein Volk, Jahrhunderte in Leibeigenschaft und Armut gehalten, nach der Revolution jahrzehntelang von der Despotie der Parteiherrschaft unterdrückt und zur Linientreue und der Vermeidung von Abweichungen gepreßt, hat auch nach dem Ende der Sowjetunion keine wirkliche politische Bildung erfahren. Rußland, die Sowjetunion und wieder Rußland haben nicht den neuen Menschen geschaffen und eine überlegene gesellschaftliche Ordnung von Demokratie und Zusammenhalt. Für eine gewisse Zeit gab es die Zügellosigkeit des Konsums und die oberflächliche Annäherung an westliche Lebensweisen. Die Zivilgesellschaft, die Gesellschaft entwirft, die streitet, die Unrecht aufdeckt und Korruption, die sich freie Medien gibt und Regeln für Zusammenhalt und Auseinandersetzung, die einen Rechtsstaat schafft und die Gewalt unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen zuweist, die freie Wahlen ermöglicht und den Austausch der Ideen, die ökonomische und andere Interessen kenntlich macht, eine solche Gesellschaft ist in Rußland nicht entstanden. In einer solchen Gesellschaft zu leben, ist unser Privileg, nicht wirklich unsere Leistung. Nach barbarischem Faschismus hat unser Land die Güte der Nachbarn erfahren und die Gnade der Weltkriegssieger. Die Erfahrungen aus Weltkrieg und der ersten Demokratie in Deutschland konnten mit Umerziehungs- und Demokratisierungsbemühungen sowie ökonomischer Prosperität unter glücklichen historischen Bedingungen in die Zivilgesellschaft münden, in die demokratische Verfassung, in das friedliche Land, das Deutschland heute sein will, ist. Nicht wirklich besser als seine Nachbarn, gottlob, aber auch nicht wirklich schlechter, vernünftig, verständig, zivilisiert, nicht aggressiv, kultiviert. So weit, so simpel. Und so falsch. Denn Groß Strömkendorf liegt in unserem Land, in Deutschland, in Nordwestmecklenburg. Dort konnten vierzehn Bewohnerinnen und Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft, überwiegend Frauen und Kinder aus der Ukraine, und drei Mitarbeiter der Einrichtung so eben unverletzt einem Brandanschlag entkommen, der die Unterkunft in Schutt und Asche legte. Der Firnis der Zivilisation ist, leider, auch hierzulande bedenklich dünn. Fremdenhass, Rassismus, Empathielosigkeit, Gewalt kennzeichnen den rechten Rand der Gesellschaft. Seit langem. Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Hanau, der Mord an Walter Lübcke in Kassel, die Mordtaten des NSU und viele andere Attentate und Gewalttaten stehen für rechtsextremistische Mühen, die Demokratie in Deutschland zu beseitigen. Die Demokratie in Deutschland, ihre Errungenschaften, auch die Zivilgesellschaft, Menschen und Gruppen, die für das Gemeinwohl eintreten, müssen geschützt werden, kämpferisch, wenn‘s sein muß, gemeinsam, über alle ideologischen, parteipolitischen oder religiösen Unterschiede hinweg. Nur so kann auch die Einheit der Ukraine und ihr Bestand als souveräner Staat in der Mitte Europas gewahrt werden, wenn nämlich die europäischen Staaten gemeinsam den Menschen in der Ukraine beistehen, das Land finanziell und auch mit Waffen unterstützen. Dem nationalistisch-imperialen Aggressor Rußland, dem Land, das nach innen und außen alle zivilen und demokratischen Erwägungen und Regeln bricht, und seinen Vasallen auf der ganz rechten wie auch teils auf der linken Seite des politischen Spektrums hierzulande müssen die Zivilgesellschaften Europas entschieden entgegentreten. Wer Flüchtlingsheime anzündet, ist keinen Deut anders oder besser als der, der die Menschen aus ihrer Heimat in die Flüchtlingsunterkünfte Europas bombt.
Ministeriale Post
Ich habe Post bekommen. Ein veritabler Professor hat mir geschrieben, mehr noch: ein richtiger Minister der Bundesregierung. Prof. Dr. Karl Lauterbach hat mir, mit Hilfe meiner Krankenkasse, einen Brief zukommen lassen, mit dem er mich darüber informiert, daß die Corona-Krise leider noch nicht überstanden sei und es nach wie vor zu schweren Krankheitsverläufen kommen könne. Sein Rat sei, sich impfen zu lassen, um möglichst unbeschadet durch Herbst und Winter zu kommen, wenn man ein Lebensalter von sechzig und mehr Jahren erreicht habe. Zudem solle man in meiner Altersgruppe auch die jährliche Grippeschutzimpfung und eine gegen Lungenentzündung bedenken. Haben Sie vielen Dank, Herr Professor. Ich habe mich bereits zum vierten Mal gegen Corona impfen lassen und zur Grippeimpfung bin ich beim Hausarzt angemeldet. Schön, wenn sich ein Minister besorgt zeigt um die Gesundheit seiner „Untertanen“. Das meine und schreibe ich ganz ohne Häme und Unterton.
Nachstar
So. Heute die dritte, sehr kurze Augenoperation hinter mich gebracht, mal wieder am rechten Auge, wo sich ein „Nachstar“ gebildet hatte. Nachstar wird eine erneute Eintrübung an der Kapsel der herausoperierten Linse genannt und ist gleichsam eine Folge der ersten Operation. In nur wenigen Minuten wurde per Laser die LInsenkapsel von Eintrübungen beseitigt. Nicht einmal ein Augenverband war heute noch erforderlich. Man kann nur dankbar auf die Knie fallen angesichts der Leistungen und Erfolge, die die medizinische Kunst im Verein mit höchstentwickelter Technik und digitaler Technologie vollbringt, um die Leiden von Menschen gründlich, oft schmerzlos und nachhaltig zu beseitigen. Ich sollte alsbald klarer sehen als zuvor, vielleicht mit Hilfe der Korrektur einer doch eher schwachen Brille. Die Sachverhalte vor dem geistigen Auge und dahinter, im Gehirn, sind und bleiben so klar wie eh und je.