Tag: 27. Dezember 2022

Rauhnächte 

Die Rauhnächte, das sind die zwölf heiligen Nächte zwischen Weihnachten bzw. Wintersonnenwende und dem Dreikönigstag und gelten seit jeher als heilige Zeit. Als Zeit der Geister, der Wölfe und Dämonen. Die Zeit „Zwischen den Jahren“, auch eine schöne Beschreibung für die Spanne, gilt als mythenumwoben. Vermutlich stammen viele der Bräuche, die sich um sie ranken, noch aus vorchristlicher Zeit. Meine Freundin Gabriele Ertl schrieb heute auf Facebook:

Eine Raunacht. Der Duft von Kräutern: Wacholder, Beifuss, Salbei, Thymian, und ein bischen Weihrauch erfüllt das Haus. Vom Dachboden bis in den Keller werden alle Räume bis in die Ecken mit den Kräutern geräuchert, und durch die offene Haustür verschwinden traditionell die bösen Geister vor dem Duft, den gesammelten Gedanken und Wünschen. Kerzen brennen und geben warmes Licht. Friedlich ist es. 

Seinen Ursprung hat der Brauch vermutlich in der Zeitrechnung nach einem Mondjahr. Ein Jahr aus zwölf Mondmonaten umfasst nur dreihundertvierundfünfzig Tage. Um mit dem Sonnenjahr und seinen dreihundertfünfundsechzig Tagen in Übereinstimmung zu bleiben, werden die auf die mehr als 365 Tage des Sonnenjahres fehlenden elf Tage – beziehungsweise zwölf Nächte – als „tote Tage“, als Tage „außerhalb der Zeit“, außerhalb der Mondmonatsrechnung, eingeschoben. In solchen Zeiten, so der Mythos, wird verbreitet angenommen, dass Gesetze der Natur außer Kraft geraten und die Grenzen zu anderen Welten aufgehoben werden. Es gibt noch weitere Tage im Jahr, an denen, wie es bei Überzeugten heißt, „die Grenze zur feinstofflichen Welt dünner ist und die ähnlich gut geeignet sind wie die Rauhnächte, um Wünsche zu formulieren, zu orakeln. Etwa Beltane / Walpurgisnacht / Samhain / Halloween / Allerheiligen / Allerseelen / Thomasnacht / Nikolausnacht.

GLASSES FROM OUTERSPACE

VON WOLFGANG HORN

Der zweite Weihnachtsfeiertag hatte so seine Tücken. Die provisorische Lesebrille, die meinen relativ frisch gelaserten Augen die Arbeit mit Computer, Tablett, iPhone und Apple-Watch möglich machte, gab nach wenigen Tagen schon die Zusammenarbeit auf. Das heißt: eigentlich nur das rechte Glas. Heute, gleichsam am dritten Weihnachtsfeiertag, nahte aber bereits Rettung: Gudrun Kirst. Sie ist die Inhaberin des Optikergeschäfts Sehenswert an der Kölner Str. 29, eingesessenen Dellmännern als „Madel“ gewiß ein Begriff. Frau Kirst nahte mit einem groß dimensionierten Koffer mit unzähligen verschiedenen Brillengläsern aller nur denkbaren Stärken und Einstellungen. Flugs schuf sie eine sechs Meter lange Schneise, stellte Ihre Meßtafeln mit Texten und Zahlen auf, ganz, wie man es im Optikergeschäft auch macht. Ein Gestell auf die Nase und das mitunter mühselige Verfahren beginnt. 

Sehenswert, Kölner Straße 29, Wermelskirchen © Gudrun Kirst

Der Nichtseher beschreibt dem Sehenden, was er erkennen kann und was nicht, wo die Blindheit beginnt. Try and error, Versuch und Irrtum. Ist es so ein bißchen schärfer? So vielleicht? Können Sie die untere Reihe auch lesen? Und ganz links, was für ein Buchstabe ist das? Dann aber hat man es geschafft, das Team Optikerin und brillenloser Kunde, sind zu einem Ergebnis des Gemeinsem Ratschlages gekommen. Eine Lese- und Computerbrille, die den ganzen unmittelbaren Körperbereich zu erkennen möglich macht. PC, iPhone, Uhr, Buch und Zeitung, Brief. Toll. Und am allerbesten: Das Untersuchungsgestell ist der Hammer. Die Partybrille. Glasses from Outerspace. Elton John wäre neidisch. Leider weigert sich Frau Kirst, dieses formschöne Teil in ihr Programm aufzunehmen. Das war heute das allererste Mal in meinem nun bald zweiundsiebzigjährigen Leben, daß eine Brillenanpassung bei mir zu Hause stattgefunden hat. Den Arztbesuch kennt man, immer noch, gottlob. Händler liefern bis ins Haus. Gottlob. Fußpflegerinnen und Friseurinnen arbeiten ebenfalls ambulant. Aber der Hausbesuch der Optikerin ist für mich die absolute Premiere. Das sollte Schule machen in einer immer älter und womöglich immer immobiler werdenden Gesellschaft.

(Zuerst erschienen im Forum Wermelskirchen)