(…) Wenn sie (die Wähler, W.H.) eine in weiten Teilen neonazistische Partei wie die AfD wählen, wenn sie dieser Partei zu Einfluss und zu Macht verhelfen, wenn sie so dafür sorgen, dass es eine institutionelle Wieder-Gewöhnung an braunes Gedankengut gibt – dann sind daran angeblich alle anderen schuld, nur nicht die Wählerinnen und Wähler. Das aber ist falsch. Die Schuld an der Wähler-Entscheidung für eine braune Partei wird auf Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck abgeladen, auf die Regierungsampel also und auf ihre andauernden Streitereien; sie wird auch auf Friedrich Merz abgeladen und auf seine täppische Oppositionspolitik. Die Schuld am Aufleben des Neonazismus, der sich in der AfD manifestiert, wird allen anderen und allem anderen zugeschoben – den regierenden Politikern, den Politikern der größten Oppositionspartei, dem Ukraine-Krieg, der Corona-Politik, der Asylpolitik, der Klimapolitik, der Bildungspolitik. Es wird so getan, als gäbe es für das braune Kreuz eine eingebaute Entschuldigung. Es gibt sie nicht. Es gibt genügend Gründe dafür, mit der herrschenden Politik unzufrieden, es gibt auch Gründe, auf sie zornig zu sein. Es gibt aber keinen einzigen Grund dafür, deswegen eine nationalistische und neonazistische Partei zu wählen, eine Partei, die so tut, als wären die Verbrechen der Nazis ein “Vogelschiss”. Die rechtsstaatliche Demokratie hat Fehler, und die demokratischen Parteien machen Fehler. Aber: Der rassistische Nationalismus, wie er sich in der AfD ausgebreitet hat, ist ein einziger furchtbarer Fehler. Wer auf den Wahlzettel sein Kreuz bei der AfD malt, der erteilt damit nicht einfach nur den anderen Parteien einen Denkzettel; er ermächtigt eine Partei, die die Menschenwürde verachtet, die giftige und gemeine Reden führt, in der das Nazi-Denken zu Hause ist und in der die NS-Verbrechen verharmlost werden. Das darf man kritisieren, das muss man kritisieren. (…) Wenn immer mehr Wähler das Land in eine braune Traufe schicken wollen, geht es nicht um geschmäcklerische Fragen; es geht um Grundfragen der rechtsstaatlichen Demokratie. Man darf, soll und muss den AfD-Wählerinnen und -Wählern die Frage stellen, ob sie wirklich wissen und wollen, was sie da tun. Wollen sie zurück in ein Land, in der Minderheiten keine oder nur wenige Rechte haben? Wollen sie zurück in ein Land der bösen Vorurteile, in dem es Deutschen-, aber keine Menschenrechte gibt? Wollen sie in einem Land wohnen, in dem Grundrechte und Grundwerte ausgehebelt werden? Die AfD ist seit ihrer Gründung eine Partei i.V., eine Partei in Verwandlung; auf dem vergangenen Parteitag hat sie das final-gefährlich-extremistische Stadium erreicht. Das finale Stadium ist – braun. Die AfD ist dorthin gerückt, wo einst, weniger erfolgreich, die NPD ihren Platz hatte; sie wird zu einem völkischen Kampfverband, der vom Thüringer Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke repräsentiert wird, der deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben will. In dieser Partei ist vom “großdeutschen Reich” die Rede und von einer “Umvolkung”, die man verhindern müsse. Zu konstatieren ist die tiefe Braunwerdung der AfD. Aus einer ursprünglich rechtsbürgerlichen Partei wird mehr und mehr eine nationalfaschistische Partei. Europa wird nicht nur bedroht von Putin, es wird auch bedroht von einer Partei wie der AfD. (…) Wer so eine Partei wählt, der wählt verfassungsfeindlich. Das darf und muss man ihm sagen, weil man den Schutz der Verfassung und des Rechtsstaats nicht einfach allein dem Verfassungsschutz überlassen darf. Das ist keine Wählerbeschimpfung, das ist Aufklärung. (…)
Heribert Prantl, Wer so eine Partei wählt, wählt verfassungsfeindlich, in: Süddeutsche Zeitung