Gegenüber des Hauptbahnhofs in Erfurt begrüßt dieser Schriftzug die Touristen: In jenem Gebäude befand sich 1973 – Mauer stand noch, das war die DDR – ein Hotel. Der bundesdeutsche Kanzler war dort zu Gast. Eine große Menge versammelte sich davor und rief, was nun in hellen Buchstaben auf dem Dach festgehalten ist. Es brauchte Mut, nach Brandt zu rufen. Ein historischer Moment der Hoffnung, des Fortschritts und ein Versprechen auf Freiheit und Einheit, die damals unerreichbar schienen. Heute scheint der demokratische Geist dieses Moments in Erfurt tausend Jahre her.
Am Donnerstag hoben die Abgeordneten von Union und FDP im Landtag in Erfurt die Hand, um gemeinsam mit der AfD der Landesregierung ein‘s auszuwischen. Es ging um nichts Wichtiges, eine Senkung der Grundsteuer und eine Entlastung reicher Menschen. Es war wie ein später Beleg für die uralte Mahnung meines Großvaters: Die Bourgeoisie verteidigt ihre Interessen notfalls mit den Faschisten, verrät dafür die Demokratie. Weit hergeholt?
Chef der AfD in Thüringen ist Björn Höcke, ein einschlägig vorbestrafter Mann. Ihn einen Faschisten zu nennen, stellte ein Gericht fest, ist keine Beleidigung. Intellektuell ist Höcke eng verbandelt mit dem Verleger Götz Kubitschek, der ihm seine Reden schreibt. In dessen Antaios-Verlagsprogramm findet sich „Revolte gegen den großen Austausch“ – Texte des französischen Hasspredigers Renaud Camus. Er erfand den berüchtigten Begriff „Grand Remplacement“. Darin deutet Camus (mit Albert in so gar keiner Hinsicht verwandt) die Gegenwart als Kampf zwischen Einheimischen weißen und christlichen Menschen und den remplacistes, einer globalen Elite, die diese einheimische Bevölkerung durch Menschen aus Afrika und Asien austauschen möchte.
Diese Weltanschauung liefert rechten Gewalttätern ihre moralische und argumentative Munition – ebenso tödlich wie Patronen. Einige rassistische Massenmörder, etwa Anders Breivik und der Attentäter von Christchurch haben diese Theorie als Legitimation für ihre Verbrechen heran gezogen. Camus und in Deutschland Götz Kubitschek liefern ihnen die Lizenz zum Töten, denn er suggeriert einen Zustand der zivilisatorischen Notwehr, in dem alle Mittel erlaubt sind.
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Es geht den neuen parlamentarischen Partnern von FDP und CDU in Thüringen nicht um Politik, schon gar nicht um die Senkung der Grundsteuer, sondern um die Macht und die Ausübung von Gewalt. Höcke, Kubitschek und Renaud Camus sind eine unmittelbare Bedrohung für alle, die anders aussehen, anders sprechen und ihnen sonst wie nicht passen. Für Migranten, Minderheiten, Juden, rassifizierte Personen und alle, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen. So ein rechter Parlamentserfolg macht das Leben für viele Menschen sehr viel gefährlicher.Weiter weg kann man sich vom Geist des Grundgesetzes nicht entfernen. CDU und FDP in Thüringen haben einen historischen Fehler begangen. Das Tor wird sich nicht mehr schließen lassen. Merz ist gescheitert. Union und Liberale werden sich genau wie in Frankreich über die Frage der Zusammenarbeit mit den Rechten spalten und zerstreiten, was denen noch mehr Macht verschaffen wird.
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Nils Minkmar, Die Widergänger, in: Newsletter Der siebte Tag
Es ist nicht zu viel verlangt, angesichts dessen, was war und was droht, jedes Mal, wenn von der AfD und Höcke die Rede ist, auch von Kubitschek, Camus, Breivik und Christchurch zu reden. Diese Männer sind gefährlich.