Die Faschisierung schreitet in wahnwitzigem Tempo voran. Willkommen im Reanactment der 30er Jahre.
Wenn er zurückkomme, werden „die Globalisten rausgeworfen“, sagte Donald Trump unlängst bei einer Rede. „Wir versprechen euch, die Kommunisten, die Marxisten, die Faschisten und die linksradikalen Schurken auszurotten, die wie Ungeziefer in unserem Land leben und bei Wahlen lügen, stehlen und betrügen“. Der Gegner, der gefährlichste Gegner, gegenüber dem alles an Gegenwehr erlaubt sei, das sei „der innere Gegner“, hämmerte der faktisch unangefochtene Anführer der amerikanischen Konservativen und Rechten. Ein „Echo von Hitler und Mussolini“ sei das, so die einhellige Kommentierung, auch der politischen Mitte.
Nicht ausgeschlossen, dass dieser Wahnsinnige nächstes Jahr wieder US-Präsident wird.
Begeisterte Selbstradikalisierung
In Argentinien haben sie jetzt den „Libertären“ Javier Milei mit erschütternden 56 Prozent der Wählerstimmen zum Präsidenten gewählt, einen ultraradikalen Schreihals, der nicht für einen schlanken Staat eintritt, sondern für die Zerstörung aller staatlichen Institutionen, der sich als „Anarchokapitalist“ versteht und die gelb-schwarze Fahne schwenkt. Gelb steht für Gold, also den Reichtum eines entfesselten Kapitalismus, Schwarz für die Anarchie. Er will das Gemeinwesen von allen Ministerien befreien, den Dollar als Landeswährung einführen, die Zentralbank abschaffen, er redet viel von Freiheit, will aber zugleich die Abtreibung verbieten, und den Papst nennt er einen „dreckigen Linken“. An seiner Seite hat der Exzentriker die Fans der ehemaligen Militärdiktatur, die sich wehmütig daran erinnern, dass man einstmals „dreckige Linke“ einfach aus fliegenden Flugzeugen werfen konnte.
Wenig später gewann der Rechtsextremist Geert Wilders die Wahlen in den Niederlanden.
In Österreich zieht Herbert Kickl derweil durch seine wohlorganisierte Festzelt-Tour, bei der man – es ist bestimmt nur als kleiner, provokanter Scherz gemeint – seine Messer zum Schleifen mitbringen kann. Der Kärntner Parteichef erklärte aufgewühlt, eine konkurrierende Politikerin werde er sich „herprügeln“, der burgenländische Spitzenmann liest die ausländisch klingenden Namen von Schulkindern im Landtag vor, Kickl verspricht, es werde „Verletzungen und Verwundungen“ bei den Gegnern geben, und man lädt einen waschechten Faschisten wie Götz Kubitschek ins Parlament ein, vorher darf er noch auf Einladung der FP-Studenten vor der Universität provozieren, ein Anlass, bei dem ein Rechtsextremer einem anderen Rechtsextremen mit einer Flasche beinahe den Schädel eingeschlagen hat, was die Polizei nicht einmal als Grund sah, den Aufmarsch der Schlägertruppe aufzulösen. Die Identitären werden hofiert. Die FP-Jugend haben sie praktisch übernommen. Hans Rauscher konstatierte im „Standard“, was hier zu beobachten ist, sei eine Art von beschleunigter „Re-Nazifizierung“.
Was daran zunächst einmal auffällt ist die irrwitzige Selbstradikalisierung der Rechtsextremisten. Alle Hemmungen fallen. Die Parole hat der radikale, faschistische Flügel der deutschen AfD ausgegeben: die Strategie der „Mäßigung“ sei immer falsch, die Zeit des Kreidefressens sei vorbei. Wobei das zwei Erscheinungsformen annimmt: Radikale, die immer schon radikal waren, und sich kein Blatt vor dem Mund mehr nehmen. Und Rechte, die sich in einen Irrwitz hinein steigern und selbst immer radikaler werden. Die also heute selbst radikaler sind, als sie noch vor ein, zwei Jahren waren.
Das Gift der Verrohung
Übersehen sollte dabei auch nicht der Aufganselungs-Zusammenhang mit dem Publikum werden. Täglich wird mehr an Gift zugeführt. Die Anhängerschaft wird mit jeder Grenzübertretung selbst immer radikaler, und das wirkt auf die Anführer zurück. Es ist eine induzierte Selbstradikalisierung, die als Hochlizitierung funktioniert. Schritt für Schritt begibt man sich in ein Wahnsystem hinein. Die Entzivilisierung geht nicht von heute auf morgen, aber zugleich brechen die Dämme auch sehr schnell. Verrohte Sprache führt zu Verrohung und Gewaltbereitschaft. Das ist die Geschichte aller Massenmorde, Gemetzel und Genozide. Auch die Nazis haben 1933 nicht einfach hergehen können, und sagen, wir bringen jetzt alle Juden um. Aber 1938 hatten sie das Klima soweit. Und auch in Ruanda brauchte es Kampagnen der Zuspitzung, Radikalisierung und vor allem Entmenschlichung der Opfer, bis man zum Völkermord bereit war.
Die Libertären und die Faschisten
Die Geschichte lehrt, das geht relativ schnell, und besonders schnell geht es, wenn man den Gegner als Bedrohung, Ungeziefer, nicht so sehr als Schwächling, sondern eher als elementare Gefahr für das Eigene hinstellt, der einem selbst „überfluten“ würde, wenn man sich nicht mit allen Mitteln wehrt. Und wenn man hippe Medien hat, die die Botschaft verbreiten. Die Massengräber der Massakrierten sind voll von Leuten, die aus vermeintlicher Notwehr erschlagen wurden.
Das Dritte, was in dieser Woche besonders auffällt ist natürlich die Allianz des wahnwitzigen Flügels der Neoliberalen – also der autoritären Libertären – mit Rechtsextremen, Nazis und Faschisten. Intuitiv würde man ja annehmen dass der „Freiheits“-Pathos und der Individualismus der Libertären mit der Menschenschinderei und dem Antidemokratischen der Faschisten nicht gut zusammen geht. Da hat man sich aber immer schon getäuscht, weshalb manche auch wirklich überrascht waren, als Zentralfiguren der Neoliberalen wie Milton Friedman zu Bewunderern von Militärdiktatoren wie Augusto Pinochet wurden.
Aber diese Radikallibertären verstehen unter Freiheit vor allem Wirtschaftsfreiheit, danach individuelle Freiheitsrechte, also die Freiheit, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden – und deswegen sind sie oft explizit gegen die Demokratie und viele demokratische Freiheiten. „Die Besteuerung dessen, was ein Mensch durch Arbeit erworben hat, ist gleichbedeutend mit Zwangsarbeit. Das ist, als würde man eine Person dazu zwingen, n Stunden für den Nutzen eines anderen zu arbeiten“, schrieb der Sozialphilosoph Robert Nozick, sozusagen der Begründer des „Anarchokapitalismus“. Im Grunde ist sogar der absolute Minimalstaat ein Anschlag auf die Freiheit, von regulierenden Staat ganz abgesehen, der vielleicht sogar umverteilt und versucht, Chancenungerechtigkeiten auszugleichen.
Liberal getünchter Wahnwitz
Der Gedankengang, dem sie sich verschrieben haben, ist folgender: Freiheit gibt es nur ein einer freien Wirtschaft, in der der Stärkere sich durchsetzen kann und nicht an seiner Schaffenskraft gehindert wird, indem er andere durchfüttern muss. Demokratische Freiheiten – vor allem das allgemeine Wahlrecht und andere Maximen der Demokratie – haben aber die Folge, dass die große Masse mitreden darf, und die wird natürlich schöne Gemeindewohnungen fordern oder einen Sozialstaat, der für Sicherheit sorgt. Außerdem dürfen sich in freien Demokratien auch Sozialisten und Kommunisten engagieren, was dieses Übel noch verschärft. Deswegen verlangt die „Verteidigung der Freiheit“, dass man Demokratie möglichst einschränkt und vor allem die Sozialisten und Kommunisten mit allen Mitteln bekämpft, also dass man sie im Notfall auf Flugzeugtüren wirft. Einsperren oder aus dem Land werfen oder nur ihre Parteien verbieten ist zur Not auch ein Anfang. Der Ökonom Milton Friedman formulierte, dass eine freie Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft sei, dass aber „eine demokratische Gesellschaft, wenn sie einmal gefestigt ist, die freie Wirtschaft zerstört“. Friedmans Aversion gegen die Demokratie war nicht sonderlich exzentrisch. Schon Friedrich August Hayek, der Säulenheilige schlechthin der Neoliberalen, hatte genaue Vorstellungen darüber entwickelt, wie eine politische Demokratie einzurichten sei, die nur mehr von ihrem Begriff her eine Demokratie sein sollte. Demokratie sei nur dann mit Marktwirtschaft zu verbinden, wenn staatliches Handeln an möglichst restriktive Regeln gebunden sei, dozierte er. Diese Regeln sollten verhindern, dass Politiker überhaupt in Versuchung kommen könnten, in die „Wirtschaftsfreiheit“ einzugreifen. Hayek schlug Parlamente vor, deren Mitglieder nur einmalig für 15 Jahre gewählt werden dürfen, und jeder Bürger sollte nur einmal in seinem Leben an einer Wahl teilnehmen dürfen, und zwar im Alter von 45 Jahren. Partei- und Interessensvertreter und auch Gewerkschaftsfunktionäre sollten vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sein.
Dieser liberal getünchte Wahnwitz geht heute oft mit den faschistischen Ideologien Hand in Hand wie Stan Laurel mit Oliver Hardy. Trump und Milei, sie spielen sowieso auf beiden Klaviaturen, der eine mit mehr Nachdruck mit der einen, der andere mit der anderen Hand. Und wie weite Kreise diese Wahnsysteme ziehen, zeigt sich daran, dass es selbst bei unseren ganz zutraulichen NEOS Leute gibt, die Figuren wie Milei bewundern und es nicht schaffen, sich klar von einem autoritären Verschwörungstheoretiker und Extremisten zu distanzieren.
24.11.2023
Robert Misik, Newsletter Vernunft und Extase