Politik und ihr Tribut

Ein Pro und Contra ist in der Süddeutschen Zeitung von Samstag zu lesen. Ist der Job des Politikers überhaupt noch zu bewältigen? Anlass sind die Rücktritte von Kevin Kühnert vom Amt des SPD-Generalsekretärs und Ricarda Lang von dem der Sprecherin des Vorstandes von Bündnis 90/ Die Grünen. 

Vivienne Timmler übernimmt das Pro. Der Job der Politikers sei hart – und doch ein Privileg. In keinem anderen Beruf wäre es möglich, die Zukunft des Landes in diesem Maße mitzugestalten, sich für die eigenen Werte und Überzeugungen so effektiv einzusetzen. Das Parlament, und man mag hinzufügen, das Land und seine Bürgerinnen ebenfalls, brauchen Politiker, „die menschlich, nahbar und glaubwürdig sind, mehr denn je. Leute, die sich trauen, Fehler zu machen, Schwächen zuzugeben und nicht für alles sofort die beste Lösung parat zu haben. Es wäre die richtige Antwort auf den Vertrauensverlust in politische Institutionen und die Entfremdung, die zwischen der Politik und den Wählern stattgefunden hat. 

Was es dafür jedoch auch benötigt: Parteien, in denen die von der Mehrheit abweichende Meinung wieder als Gewinn gesehen wird. Politische Umfelder, die all jene, die im Feuer stehen, besser schützen, teils auch vor sich selbst. Demokratische Wettbewerber, die aufhören, Hass-Narrative noch zu befeuern. Und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die es wieder lernt, den Menschen hinter dem Politiker zu sehen. Denn am Ende macht dieser Mensch den Job nicht für sich selbst. Sondern für das Volk.“

Constanze von Bullion bezeichnet in ihrem Contra-Kommentar die Politik als „Lebendfalle“. Natürlich seien Politiker privilegiert. Jede Spitzenposition fordere ihren Tribut, in der Politik wie in Wirtschaft oder Gesellschaft. „Die politische Bühne allerdings ist von besonderer Erbarmungslosigkeit.“

„Unzumutbar ist die Gehässigkeit, mit der in sozialen Medien jeder noch so kleine Versprecher, jeder Stolperer in einer Talkshow und jede spontane, unfrisierte Formulierung aufgespießt wird, bevor das digitale Anspucken folgt – bei Ricarda Lang reichte schon die nicht normgerechte Figur, um einer beispiellosen Hatz ausgesetzt zu sein, über Jahre.“

„Wer hat noch Lust auf solche Jobs? Wer steht sie durch? Und wer würde tauschen? So gut wie keiner dieser Schreihälse, die täglich Häme über Politiker ausschütten. (…) Der Hohn über den Elfenbeinturm, in dem die politische Kaste es sich gemütlich gemacht hat auf Steuerzahlers Kosten, bevor sie sich abends durch die Talkshows schwatzt, ist wohlfeil. Das Gegenteil ist der Fall. Politik ist ein so hartes Geschäft, dass Leute, die man dort besonders dringend bräuchte, es als Berufsfeld oft gar nicht erst in Betracht ziehen.

In Parlamenten fehlen Nicht-Studierte in großer Zahl, Frauen sowieso, aber auch Menschen, die etwas anderes beherrschen als Jura, also die Kunst rechtlicher Akkuratesse. Politik wirkt abschreckend auf Nachdenkliche und Kreative, die sich nicht ins Korsett normierten Sprechens und Denkens fügen. (…) Es ist also kein Zufall, dass sich mit Ricarda Lang und Kevin Kühnert ausgerechnet zwei der vielversprechenden, weil unkonventionellen Persönlichkeiten aus der ersten Reihe verabschieden. Sie kann zur persönlichen Hölle werden, gerade für Menschen, die zu eigenem Gedankengut neigen.”

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