“Tiefpunkt in der politischen Kultur der Republik”

Lindner hat das schöne Wort „Freiheit“, das für die FDP ein Kernwort war, entkernt und veralbert: Lindner definierte seine und die Freiheit seiner Partei als Freiheit von Verantwortung, Freiheit von Anstand, Freiheit von Pflichtgefühl. Die Art und Weise, wie der FDP-Parteichef den Ausstieg aus der Ampelkoalition inszenierte, gehört zu den Tiefpunkten in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Es war dies eine infame Flegelei, über die der Wahlkampf nicht einfach hinwegrollen wird. Die FDP, eine Partei, die zur guten demokratischen Grundausstattung des Landes gehört, ist nachhaltig diskreditiert. (…)

Der Koalitionsbruch im Herbst 2024 war ja nicht das erste Mal, dass Lindner mit tückischer Unsolidität aufgefallen ist; das war schon so, als er 2017 die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Jux und Tollerei platzen ließ. Linder ist unseriös. Lindner hat das lange erfolgreich kaschieren können. (…)

Die Attitüde war stark, die Inhalte waren es nicht. Aber die Attitüde war so stark, dass man das nicht gemerkt hat – bis er Finanzminister wurde. Seitdem sind die Wahlergebnisse der FDP desaströs; die FDP ist eine verhungernde Partei geworden. Sie leidet an programmatischer Entleerung; sie wiegt nur noch ein halbes Lot. Der lindnerisierten FDP fehlt jeglicher inhaltlicher Tiefgang; das lässt sich mit dem formelhaften Lobpreis der Schuldenbremse nicht verbergen; die ist und ersetzt kein Zukunftsprogramm. Und ein Papier, das den Autos wieder mehr und Fußgängerzonen weniger Raum geben will, so wie es die FDP im August präsentierte, ist von solcher Dürftigkeit, dass man darüber gar nicht reden muss. Was erinnert heute noch an eine FDP, der einst Leute wie die Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher oder ein Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf Haltung und Rückgrat gegeben haben? Was erinnert an eine FDP, in der ihre Rechtspolitiker mit den CDU/CSU-Innenministern um die Rechtsstaatlichkeit gerungen und diese in Karlsruhe erfolgreich eingeklagt haben? (…)

Früher hatten die Liberalen den Einzelnen gegen die Macht des Staates verteidigt; wer sich erwartet hat, dass sie ihn nun gegen den neuen Leviathan, gegen die Macht des globalisierten Finanz- und Digitalmarkts verteidigt, sah und sieht sich enttäuscht. Lindner ist kein Grundsatzpolitiker, er ist auch kein Stratege; er ist ein Taktiker und ein Spieler. Das von ihm hervorgebrachte Parteiprogramm ist kein Programm, sondern eine Instant-Brühe aus smarten Floskeln und dünnen Sprüchen.

Auszüge aus der Philippika von Heribert Prantl, Liberale. Da ist nichts drin, in: Süddeutsche Zeitung vom zweiundzwanzigsten November Zweitausendvierundzwanzig

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