Kategorie: Literatur

Ukraine entnazifizieren

„So weit wir das verstanden haben, willst Du die Ukraine entnazifizieren, indem du einen jüdischen Präsidenten ermorden lassen willst, eine Holocaust-Gedenkstätte bombardierst und Überlebende der Shoa in Luftschutzkeller zwingst. Wir sind ja hier leider so etwas wie Experten in Sachen Nationalsozialismus, aber da ist uns beim besten Willen kein Witz mehr eingefallen.“

Max Uthoff und Claus von Wagner, in: Sonderfolge von Die Anstalt im März 2022, an Putin gerichtet

Kuß

Eine bestimmte dieser Berührungen, die der beiderseitigen Lippenschleimhaut, hat ferner als Kuß bei vielen Völkern (die höchstzivilisierten darunter) einen hohen sexuellen Wert erhalten, obwohl die dabei in Betracht kommenden Körperteile nicht dem Geschlechtsapparat angehören, sondern den Eingang zum Verdauungskanal bilden.

Sigmund Freud, zitiert nach: Hektor Haarkötter, Küssen. Eine berührende Kommunikationsart (E-Book S.20)

Glück kann sich wenden

Wenn trotz Gründerzeit keine umfassende Euphorie regiert, liegt das an der internationalen Situation. Ich gehe davon aus, dass Joe Biden wieder gewählt wird, Donald Trump in vielen Staaten gar nicht erst auf dem Stimmzettel erscheint und die Ukraine schneller gewinnt, als zu vermuten ist. Aber die letzten Jahre haben auch gezeigt, dass alles anders kommen kann. Glück kann sich wenden: Es braucht nur eine falsche Entscheidung im Kreml und wir alle werden zu Flüchtlingen.

Nils Minkmar, Die schöne Gegenwart, in: Newsletter: Der Siebte Tag

Ängste

Über die Zeilen gestolpert: Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten. Und dann gesucht. Und gefunden. Mascha Kaléko. Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten rahmt das Gedicht Rezept ein. Die ersten beiden Zeilen und die beiden letzten: Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten.

Rezept

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

Mascha Kaléko

Bei Hitlers brennt noch Licht

Bei Hitlers brennt noch Licht.
Es ist nie ganz erloschen,
nur eine kurze, ruhige Zeit war’s Fenster fest verschlossen.
Nur ab und zu, ganz schüchtern fast, kaum hörbar, ein Gewisper…
Man nahm’s kaum wahr und dachte sich: „Was soll’s? Da ist noch Licht an.“
Bei Hitlers brennt noch Licht – Jetzt treten sie ans Fenster.
Jetzt sieht man sie, jetzt hört man sie …
das sind keine Gespenster.
Ganz stolz und lautstark steh’n sie da, entzünden und krakeelen.
Und ihre Drohung ist ganz klar: „WIR GEHEN WIEDER WÄHLEN!“
Bei Hitlers brennt noch Licht.
Vernunft wo bist Du? Wo?
Komm‘ raus und hilf … und schalt‘ es aus.
… sonst brennt es lichterloh.

Simon Pearce ist ein in München lebender deutscher Schauspieler, Synchronsprecher und Comedian – deutscher geht’s kaum, möchte man meinen. Und trotzdem wurde Pearce seiner Hautfarbe wegen bereits seit frühester Kindheit mit Themen wie Rassismus oder Intoleranz konfrontiert.

Das Bergische in der Krimiliteratur

Da liest man, nächtens, weil auch Senioren die Nacht zum Tag machen können, wenn der Schlafrhythmus meint, mit einem Siebzehnjährigen zu tun zu haben, statt mit einem Einundsiebzigjährigen. Ein simpler Zahlendreher.

Zumal es seit einer Woche nicht geregnet hat. Was in dieser Einöde namens Bergisches Land, das genaugenommen aus mittelmäßigen Hügeln besteht, einem Wunder gleichkommt. Ihre irreführende Benennung verdankt die Gegend den Herzögen von Berg, ihren Ruf als Idylle allein dem Niedergang der traditionellen Handwerksbetriebe und der Metallindustrie. Jahrhundertelang haben sie die hiesige Luft und sämtliches Wasser verpestet und den Mischwaldbestand zwecks Brennstoffgewinnung geplündert. Bereits im Spätmittelalter wurden örtliche Bäche und Flüsse von Gerbern, Blaufärbern und Bleichern in stinkende Kloaken verwandelt. Nicht weit von hier gab es vor etwas mehr als hundert Jahren auch noch geheime Pulvermühlen, deren gelegentliche Explosionen die Arbeiter Beine, Arme oder das Leben kosteten. Von Salpeterverätzungen ganz zu schweigen. In Lumpen-und Papiermühlen fingen sich ganze Frauengenerationen – manche noch Kinder – die Tuberkulose ein. In Hammermühlen ging es ihren Männern nicht besser, Richtung Wuppertal schufteten sich Hutbandweber und Seilmacher zu Tode. Mit anderen Worten: Ländliche Idylle herrschte hier selten. Auch nicht für die Bauern. Und kulturell gesehen ist das Bergische nach Schuknechts Dafürhalten bedauerlich unterentwickelt.
[…]
Neben rheinischen Frohnaturen wohnen in den Fachwerkhäusern des Ortskerns minderbegabte Töpferinnen, esoterisch-ökologische Spinner und Großstadtflüchtlinge auf der Suche nach Beschaulichkeit. Der vernunftbegabte bergische Teil der Dorfbewohner verzichtet dagegen auf malerisch verfallende Behausungen in feuchter Tallage. Die Eingeborenen ziehen Niedrigenergiehäuser mit Solarpaneelen in Hanglage vor. Es ist anzunehmen, dass sie von dort aus spöttisch auf alle Dorfnostalgiker herabschauen. Und auf jene Tagestouristen, die anreisen, um sich bei Hasim – einem algerischen Schlitzohr, der das historische Mühlenlokal betreibt – lederartige Waffeln mit Sprühsahne und dünnen Dröpelminnakaffee andrehen zu lassen, anstatt sein vorzügliches Couscous mit Lamm zu kosten. Andere steuern Heiners Tattooworld im Schatten der Dorfkirche an, um sich sinnfreie chinesische Schriftzeichen in den Arm stechen zu lassen. Ein Angebot, das sich an die im kurvenreichen Eifgental epidemisch auftretenden Motorradhorden wendet. Offenbar erfolgreich. Einzig die Klatschzentrale im Ortskern scheint ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Es ist ein Edeka-Laden samt Postfiliale. Mit eigenwilligen Öffnungszeiten, wie Schuknecht bei dem Versuch, einen Einschreibebrief abzuholen, feststellen musste. Höchstens vier Stunden am Tag sind Kunden willkommen: zwischen 6:30 Uhr und 11 Uhr morgens. Ungefähr. Geführt wird der Schrummelladen von einer pensionierten Grundschullehrerin mit Doppelnamen. Schuknecht runzelt die Stirn. Wie lautete der noch? Stand unter den Öffnungszeiten. Auf einem Schild aus Salzteig. Irgendwas mit Bimmel oder Bummel? Egal, muss man sich nicht merken! Besagte Dame stellt hinter halbblinden Scheiben ein obskures Angebot aus: Neben Ansichts- und Wanderkarten werben Faltblätter für ihre Frauenkräuterseminare im Bergischen Freilichtmuseum Lindlar. Frauenkräuter! Firlefanz! Strickstrümpfe und bizarre Töpferwaren aus hiesiger Fertigung runden neben Eiern von einer Straußenzuchtfarm im Nachbardorf Emminghausen das Sammelsurium ab. Straußeneier!

Ellen Jacobi, Mordsjubiläum. Ein Krimi aus dem Bergischen Land. E-Book, Bastei Lübbe