Heute vor siebenundsiebzig Jahren: Der Krieg ist aus. Deutschland hat kapituliert. Endlich. Das Elend des Krieges, die Verelendung der Menschen wurde auch deutlich in den Feldpostbriefen deutscher Soldaten an die Angehörigen zu Hause. Heute begehen wir den Tag der Befreiung vom Faschismus. Befreit haben Deutschland und Europa die Alliierten, allen voran die Sowjetunion, die die meisten Opfer in diesem Krieg zu beklagen hatte. Es ist bitter und traurig, an einem solchen Tag russische Soldaten bewaffnet und mordend im Nachbarland Ukraine zu wissen:
Wolfgang Horn
Ein paar Worte aus einem Brief: “Das Wetter ist wundervoll. Richtig Sommer. Glühender Sonnenschein, dazwischen erfrischende Gewitter. Schon seit ca. 14 Tagen. Dazwischen war es auch schon wieder mal kälter und nass, wird aber jetzt wohl schön bleiben. – Pfingsten wird bei uns ‘gefeiert’.” Schreibt Heinz an Elly. “Im übrigen gefällt es mir hier sehr gut, wir sind am Atlantischen Ocean in einem Dorf neben La Rochelle, waren in Nantes, Orleans, Besancon etc. etc.. (…) In Pessé, nahe Orleans, hatte ich eine schöne, große, schlanke Französin, doch leider kamen wir von dort zu schnell weg.” Berichtet Horst seinem Vater Helmut. Urlaubsgrüße? Ferienliebschaften? Nein: Soldatenbriefe. Feldpost. Banales aus dem Soldatenalltag. “Na bitte. Änne, was sagte ich Dir? Dem Jungen geht es blendend!” Selbstbetrug in Briefen, geschrieben an die Lieben in der Heimat. Und, seltener, bittere Anklage: “Dieser verdammte Scheiss-Krieg. Was weiß man noch vom richtigen Leben. Das ganze Material der Erde wird eingesetzt um sich gegenseitig zu morden. Findet sich denn niemand der diesem Einhalt gebietet?” Oder: “Ich kann so richtig keinen Anfang finden. Was soll man schreiben? Daß die ganze Welt verrückt geworden ist? Erlebt man das alles wirklich, oder ist alles nur ein Böser Traum?” Das Böse ist kein Traum. Das Böse ist die Wirklichkeit des Soldaten. Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Volkshochschule einen ganztägigen Theaterworkshop unter der Leitung von Bardia Rousta veranstaltet und eine szenische Lesung aus Feldpostbriefen aufgeführt. Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe: “Der Krieg ist aus!” Vom Bösen und Banalen des Soldatenlebens, von der Hoffnung auf den Sieg bis zu Wut und Verzweiflung über Elend und Verbrechen der Deutschen und des Faschismus. “Was soll ich Euch jetzt eigentlich schreiben? Wie es uns geht zu schreiben, heißt immer wieder an die Greuel der Zeit erinnert zu werden. Außerdem will ich Euch nicht immer damit beschweren.” Ein vorzügliches Projekt, das Marjanne Meeuwsen von der Volkshochschule Bergisch Land in Zusammenarbeit mit Armin Himmelrath vom Verein Bergische Zeitgeschichte organisiert hatte. Ein Projekt unter der Leitung des in Wermelskirchen bekannten Regisseurs Bardia Rousta. Rousta und die Teilnehmer ließen Texte lebendig werden, die einem nach über siebzig Jahren noch Gänsehaut machen, die verstören, aufklären, ärgern, staunen lassen. Zu Bildern von Feldpostbriefen, zu Fotografien aus dem Wermelskirchen der dreißiger und vierziger Jahre, zu Postkarten und persönlichen Fotos der Soldaten. Eine Revue, die aufklärt und beunruhigt. Eine perfekte Show. Fast perfekt. Wenn sie denn mehr Besucher und Interessierte gefunden hätte. Sonntags Abend. Gegen die Sportschau. Schade. Ein Gedicht, aus einem Feldpostbrief von der Ostfront. “Weihnachten fällt aus! / Josef ist bei der Wehrmacht. / Maria ist beim Roten Kreuz. / Die Weisen aus dem Morgenlande haben keine Einreisegenehmigung bekommen. / Der Stern von Betlehem darf wegen Verdunkelung nicht mehr scheinen. / Das Kind ist wegen Fliegeralarm evakuiert worden. / Die Krippe befindet sich bei der NSV. / Heu und Stroh hat die Wehrmacht beschlagnahmt. / Im Stall liegt die Flack. / Die Hirten sind vom Militär eingezogen und die Engel an die Front kommandiert. / Wegen dem Esel allein lohnt es sich nicht.”