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Patschzufrieden

Da hat jemand richtig abgerechnet. Mit dem Fernsehen. Malte Welding heißt er. In der Berliner Zeitung hat er unter dem Titel “Stirbt das Land vor Langeweile?” in einer bösen Philippika gegen Mutlosigkeit und Mittelmaß im bundesdeutschen Fernsehen abgeledert. Und zugleich doch auch eine Liebeserklärung an das Medium verfaßt. “Wer auf das Fernsehen pfeift, schaltet ein, wer es mag, bringt es nicht über sich, die Kiste anzumachen”, schreibt Meldung und bezieht sich auf einen Satz des Medienjournalisten Stefan Niggemeier: “Menschen, die besonders gerne Fernsehen gucken, gucken kein Fernsehen mehr.” Ein eigenartiger Befund. Aber ein richtiger. Ich beispielsweise schaue immer weniger Fernsehen. Und dabei mag ich das Medium, mit dem ich seit über dreißig auch beruflich verbunden bin. Man kann auch heute noch immer wieder Entdeckungen machen im deutschen TV-Angebot. Aber man muß länger, viel länger suchen.

Bei Welding liest sich das so: “Bestimmt findet man im deutschen Fernsehen etwas, das einem gefällt, wenn man bloß lang genug sucht. Aber wann immer mir Fernsehen geschieht, fühlt es sich an, als sei ich in der Kneipe von zwei Hünen angerempelt und mit Bier eingenässt worden. Ich werde aggressiv, bekomme Kopfschmerzen, kann aber nichts machen. Soll ich etwa selbst besseres Fernsehen machen?” Klar. Italienisches Fernsehen oder auch französisches gestatten sich noch ganze andere Standards. Dagegen ragen die deutschen Programme noch heraus. Aber reicht das schon? Nein. Die Rundfunkanstalten haben Mühe, junges Publikum vor ihren Programmen zu versammeln. Die Generation unter dreißig trifft sich mit Laptops, Smartphone oder Tablets bei Youtube. Die besser gebildeten Gesellschaftsschichten kultivieren ihre Fernsehferne verächtlich mit anderen Kulturmedien, Büchern, Konzerten, Museen, was immer die Gesellschaft noch vorhält. Nach Welding zeigt die nach Milieus unterteilte Quotenverteilung „praktisch alle deutschen Programme im linken unteren Eck, wo sich relativ geringes Einkommen und relativ geringer Bildungsstand treffen. ZDFneo, als digitaler Spartenkanal gedacht für junge Menschen mit Gehirn, hat einen Marktanteil von 0,3 Prozent.” Dabei boomt das deutsche Fernsehen. Die Quoten sind schwindelerregend, die Fernsehdauer nimmt immer weiter zu, Jahr für Jahr kommen weitere Minuten hinzu. Einen “stummgeschaltenen Jahrmarkt” nennt Welding die Wohnzimmerecke mit Fernsehgerät. “Würde man ihn zum Leben erwecken, dann wäre er zunächst einfach nur wahnsinnig laut, dann erst würde man die einzelnen Geräusche als Werbung deuten können oder als Frauke Ludowig oder als Polizeisirene.” Oder vielleicht als Talk. “Und Fernsehen, das ist Talk. Endloser Talk. Immer wieder Talk. Nicht über alles. Sondern immer über dasselbe. (…) Früher deckte man Skandale auf, heute spricht man drüber. Was denkt denn wohl Helmut Dietl über Christian Wulff? Ist irgendein ehemaliger Politberater noch nicht befragt worden, ob er Guttenberg für einen Plagiator hält? Kenne ich etwa die Meinung von Roger Willemsen zur drohenden Griechenland-Pleite nicht, kann mir entgangen sein, was Veronika Ferres von der Bankenkrise hält?” Fernsehen sei, so Welding weiter, Bohlen, der “Blockwart des Ballermann”, Michaela Schäfer, “die nackteste Frau der Welt”, das seien afro-amerikanische Knastinsassen, “die in einer aberwitzigen Synchronisation Bühnenhochdeutsch sprechen” oder der, “der früher einmal Fernsehen gemacht” habe und nun seine Rente auf dem Bildschirm abfeiere, nämlich Harald Schmidt, der irgendwann “eine Art großer Mann des Bumswitzes sein” werde, jetzt aber das “Mehltau gewordene Mahnmal der Langeweile, ein nicht enden wollendes Schlafwandeln”, mehr noch, ein Irrtum, er sei “ein Ghost Jobber”. “German Television proudly presents.” By the way: Was macht eigentlich Albrecht Metzger so? Dreiunddreißig Prozent der deutschen Fernsehkonsumenten sind Intensivnutzer. Ihre Apparate laufen bis zu acht Stunden täglich. Ob sie indes auch Intensivseher sind, ist durchaus fraglich. Viele machen neben laufendem TV-Programm anderes. Das Fernsehen macht lediglich den Hintergrund. Oder den guten Freund. Das Fernsehen sendet, gleich, ob man zusieht, bügelt, kocht, liest, schläft oder verdaut. “Das deutsche Fernsehen steht so patschzufrieden im eigenen Saft,” schreibt Malte Welding, “dass es mit großer Fröhlichkeit darin ersaufen wird, in der Karnevalsbrühe aus Küstenwachenwiederholungen und Serien mit Tieren in der Hauptrolle und Selbstversicherungskabarettsendungen und Redaktionen nach Parteiproporz, die Politsendungen simulieren, und ist die Rente sicher und kippt der Euro und stirbt das Land? Ja, das Land stirbt. Vor Langeweile. (…) Gottschalk, der vor 30 Jahren wirklich frisch und neu war, kam aus dem Nichts. Er hinterließ: Lanz.” Sein Resume: “Damit das mit den Quoten so bleibt, darf das Programm auf keinen Fall stören. (…) Ein Fernsehabend in Deutschland ist eine Vorschau: So doof, so alt, so verklemmt und laut und totgespart wird irgendwann das ganze Land aussehen. Aber vielleicht geschieht ja einmal ein Wunder.” Was hat uns das Fernsehen mit seiner Werbung gelehrt? Nichts ist unmöglich.

Die Welt ist klein

Unter dem Titel: “Westerwelles kleine Welt” veröffentlichte die Berliner Zeitung einen Text des Historikers Götz Aly zur “kleinen Erfahrungswelt” unseres Außenministers.

Guido Westerwelle wurde 1961 in einem Vorort von Bonn geboren, wuchs in Bonn auf, beide Eltern waren Rechtsanwälte, der Vater pflegte den Reitsport, die Mutter das Golfspiel. Um die Bundeswehr kam Abiturient Guido irgendwie herum und studierte sodann sieben lange Jahre Jura; das Zweite juristische Staatsexamen legte er nach weiteren vier Jahren ab. Das alles geschah in Bonn, immer in Bonn. Im Alter von 22 Jahren wurde Westerwelle Vorsitzender der Jungen Liberalen. Seither amtiert er als politischer Funktionär und Bundespolitiker. (…) Westerwelle zeigte keinerlei Neugier, sammelte nirgends Erfahrungen, irrte sich nie, wollte nicht im Ausland studieren. Er pflegte die eigene Langeweile. So formte sich der Leistungsträger Westerwelle. Was es bedeutet, im Arbeitsamt eine Wartenummer zu ziehen, Kinder durch Schule und Ausbildung zu schleusen, einen niederschmetternden Rentenbescheid zu lesen, von solchen Lebensleistungen weiß er nichts. Anders als die Biografien von Franz Müntefering, Angela Merkel, Wolfgang Schäuble oder Petra Pau verlief seine Vita ohne jeden Bruch. Westerwelle und ein erheblicher Teil der FDP-Spitze repräsentieren eine Generation von Plastikmännern und -frauen, die in den fettesten Jahren der westdeutschen Republik im anstrengungslosen Wohlstand aufgewachsen sind und außer Sprüchen wenig geleistet haben. Im Jahr 2001 erhielt Guido Westerwelle seine bislang bedeutendste Auszeichnung: Krawattenmann des Jahres.

Ich rätsele noch, ob ich das wirklich unter Polemik abheften soll. Vielleicht ist es doch der Kern eines Psychogramms.