Thilo Sarrazin. Zu diesem Thema wollte ich eigentlich nichts schreiben. Der Autor ist nicht interessant, soweit ich das anhand der bislang veröffentlichten Texte beurteilen kann. Aber was habe ich heute in den diversen Radiosendern und Zeitungen nicht alles hören und lesen müssen. Nazi im Nadelstreifen. Rassist. Sozialdarwinist. Michel Friedman legt der Bundesbank nahe, Sarrazin endlich aus dem Vorstand zu werfen. Andere ebenfalls. Bundestagsabgeordnete und Journalisten sind sich einig: Raus aus Bundesbank und SPD. Sarrazin zum Schweigen bringen. Das alles von Leuten, die, wie ich, die ganzen 460 Seiten von Sarrazin noch nicht gelesen haben können. Die von Bild und Spiegel veröffentlichten Sentenzen, nämlich die Einleitung zu seinem Buch, reichen offenbar aus, Parteiausschlüsse, Berufsverbote und Schweigen zu fordern. Da ist mir zuviel rhetorischer und publizistischer Krawall im Spiel, Krawall, der dem des Buchautors Sarrazin nicht nachsteht. Ich gestehe, daß ich ratlos bin, fassungslos, wann immer Menschen, ethnische oder soziale Gruppierungen, auf ihren ökonomischen Nutzwert reduziert werden. Und mir deucht, daß Sarrazin als bekennender Liebhaber von Statistiken von dieser Haltung durchaus infiziert ist. Zudem scheinen mir die biologistische Argumentationsweise und der krude Genetik-Unsinn Sarrazins durchaus nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis zu sein. “Deutschland schafft sich ab” ist, wie Das Dossier schreibt, “ein buntes Potpourri aus wirtschaftlichen, politischen, biologistischen und nationalistischen Versatzstücken, garniert mit diversen Ausflügen in die Geschichte (…). ” Einerlei. Mir geht es nicht um Sarrazin. Wie gesagt, ein eher uninteressanter Autor, krawallig, populistisch, polarisierend. Mir geht es um den Sarrazin-Hype. Der monströse Erfolg des Sarrazin-Schinkens geht auf die Medien zurück, auf Journalisten, Politiker aus der dritten und vierten Reihe, auf andere zweitklassige Prominente, die sich alle in den Armen liegen und munter mitmachen im Wettbewerb um die politisch korrekteste und härteste Bewertung, um die weitestgehende Forderung nach persönlichen oder beruflichen Konsequenzen für Sarrazin. Ohne ein solchermaßen aufgegeiltes Umfeld bliebe Sarrazin, was er war: ein blasser Autor, der sich verritten hat, ein Politiker mit Vergangenheit, ein Bänker ohne Zukunft, niemand, von dem man öffentlich Kenntnis nehmen muß, ein Sonderling, bestenfalls. Jedenfalls keiner mit der erkennbaren Fähigkeit, eine neue rechtspopulistische Partei um seine papiernen Sätze und Statistiken herum entstehen zu lassen.