Heute hat man mir das Vertrauen in die bürokratische Kompetenz und die organisatorischen Fähigkeiten der deutschen Verwaltung endgültig ausgetrieben. Man? Nein, natürlich kein Anonymos. Irgendjemand wird schon zuständig und verantwortlich sein. Ich kenne ihn oder sie aber nicht. Konkret. Heute habe ich am frühen Morgen, gegen halb sieben Uhr, Mohamad Abadi in Wermelskirchen getroffen und bin mit ihm etwa einhundert Kilometer gefahren. Nach Burbach, zur Außenstelle des Bundesamtes für Migration. Mohamad war zur Anhörung gebeten. Um halb Neun. Natürlich waren wir pünktlich. Vierzig, vielleicht fünfzig andere Menschen auch. Der Warteraum karg, aber rappelvoll. Viele Familien, viele Kinder, auch Kleinkinder und Säuglinge. Menschen aus allen Ecken der Welt. Araber, Albaner, Afrikaner. Eritreer, Syrer. Dazu die Begleitpersonen, Ehrenamtler, wie ich, oder etwa Mitarbeiter eines Ordnungsamtes. Kein Stuhl mehr frei, dazu Kinderwagen, Buggies, Taschen, Rucksäcke. Waren all diese vielen geflüchteten Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einbestellt? Die Männer vom Sicherheitsdienst verneinen. Gibt es ein System, eine Regel, ein Ordnungsprinzip, nach dem die einzelnen Fälle, Menschen, “bearbeitet” werden? Nein. Keins jedenfalls, von dem die Sicherheitsexperten Kenntnis hätten. Der Zufall regiert offenbar. Immer mal wieder ruft ein Dolmetscher Namen in den Raum, fragt nach der Nationalität, schaut, mitunter irritiert, auf seine Liste und verschwindet wieder. Einzelne werden hinausgebeten. Sie werden jetzt offenbar “bearbeitet”. Für die anderen, die vielen, heißt es: warten. Untätig, stumpf, ergeben. Kinder werden unruhig. Einige leben ihren Bewegungsdrang aus und rennen, natürlich nicht leise, durch den Raum. Sie wollen spielen, nicht warten, nicht brav auf dem Schoß der Mutter sitzen, stundenlang. Einige spielen mit den Smartphones ihrer Eltern, laut natürlich, Ballerspiele, Autorennen. Apropos Smartphones: Natürlich gibt es in der Außenstelle einer Bundesbehörde kein freies WLAN. Sowenig wie Getränke, Kaffee oder Wasser. Nicht einmal einen Automaten kann man hier finden. Kaum einer der heutigen Besucher des Bundesamtes dürfte direkt aus Haiger oder Burbach kommen. Die meisten haben gewiß eine längere Anreise hinter sich gebracht. Wie Mohamad und ich auch. Hier wird Zeit verwüstet. Die der Flüchtlinge, die der Begleiter. Weil man keinen ordentlichen Plan hat, gemacht hat, wie die vielen verschiedenen Anliegen dieser vielen Menschen zügig, wohlorganisiert, effizient behandelt werden können. Wie man Menschen lähmt. In einem Land, das sich doch soviel zugute hält auf seine Organisationskraft, seine Effektivität, seine Planmäßigkeit. Ach ja, das ist nur ein Zwischenbericht. Mittlerweile ist es nach zwölf Uhr, der Warteraum noch halbvoll. Vermutlich werden wir bis gegen zwei Uhr oder gar später noch warten müssen. Mohamad und ich und einige andere. Bürokratie als Ent-Würdigung.
Post Scriptum
Halb Vier war’s, als ich Mohamad wieder bei seinen Gastgebern abgeliefert habe. Ein je elfstündiger Aufwand von zwei Menschen für die nicht einmal einstündige Befragung eines Menschen.