Schlagwort: Dr. Werner Güntermann

Tam-Tam

Nun muß nicht jede Partei einen ausgewiesenen Sozialwissenschaftler in den Reihen ihrer örtlichen Gliederungen haben oder einen Experten für statistische Untersuchungen. Wenn man als lokale Partei aber dafür stadtbekannt ist, sich aufzublasen und zu blähen schon für genuin politische Aktivitäten zu halten, wäre eine Rückversicherung bei einem Experten für sozialwissenschaftliche oder statistische Untersuchungen schon ganz hilfreich. Damit ein Rest von Glaubwürdigkeit bleibt, wenn man die Menschen in der Kommune befragt. Eine statistische Untersuchung, hier die als Befragung getarnte Verteilung von Postkarten, vor allem durch den örtlichen Edekamarkt an die Wermelskirchener Wahlbevölkerung durch die WNK, steht und fällt mit der Fragestellung. Wenn man wirklich herausfinden will, was Wähler zu bestimmten lokalen Themen und Problemstellungen denken, dann kann man etwa offene Fragen stellen und damit den Befragten die Gelegenheit geben, gänzlich ohne Vorgaben differenziert zu antworten. Oder man sieht mehrere unterschiedliche Antwortmöglichkeiten vor, zwischen denen sich die Angesprochenen wirklich entscheiden können. Fragt man indes danach, ob man für die Schaffung und den Erhalt von fußläufig erreichbaren Lebensmitteläden im Stadtzentrum und den Stadtvierteln sei, kann einem schon der gesunde Menschenverstand, also ein Verstand weit vor sozialwissenschaftlicher Spezialkompetenz samt Grundwissen in der Auswertung statistischer Verfahren, vor der Befragung sagen, daß, abgesehen von den Voten wirklicher Idioten, kaum Neinstimmen zu erwarten sein werden. Warum auch? Und genauso verhält es sich auch mit zwei weiteren Fragen: Ist man für oder gegen die Beseitigung der Industrieruine Rhombus? Wer könnte wachen Sinnes mit Nein stimmen? Neben den bereits genannten Idioten doch bestenfalls die ein, zwei Exemplare aus dem Messiefreundeskreis “Wir lieben das Marode des Zerfalls”, die man hier in Wermelskirchen finden dürfte, wenn überhaupt. Die Postkartenwurfaktion entpuppt sich also bereits beim ersten Hinsehen als irgendetwas, jedenfalls nicht als eine Befragung. Wo die Antwort keinen Sinn hat, stiftet auch die Frage keinen. Die nicht unter Betreuung stehenden Bürger dieser Stadt können nur mit Ja antworten. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob man für oder gegen den Erhalt des Lochesplatzes als zentralen Kirmes-, Park- und Veranstaltungsplatzes sei. Die nun von der WNK präsentierten “Ergebnisse” unterstützen diese These. Mehr als neun von zehn “Befragten” antworten mit Ja. Erwartungsgemäß. Nun kann man das alles aber nicht als sozialwissenschaftliche Schwäche werten, sondern eher als demagogische Stärke. Die Mitglieder und Verantwortlichen der WNK, soweit ich sie kenne, sind allesamt durchschnittlich bis überdurchschnittlich kluge Menschen. Denen ist das alles völlig klar und einsichtig, was ich hier schreibe. Aber es geht ja auch nicht um Klugheit, sondern um Politik und Moral. Und in dieser Hinsicht gilt die Feststellung, daß auch die größte Klugheit einzelner die Gruppe der WNK nicht davon abhalten konnte, einen vermeintlichen Coup, einen Wahlkampfcoup zu landen. Frage das Selbstverständliche, das Nicht-Entscheidbare und du bekommst ein hohes Ergebnis. Zwei weitere Fragen gab es noch. Eine nach der Verlegung des Wochenmarktes auf den historischen Marktplatz und eine nach der Ansiedlung eines XXL-Supermarktes auf dem Rhombusgelände. Hier handelt es sich um die einzigen Themenstellungen, bei denen die Ja-Nein-Auswahl sinnvoll ist. Irgendwie war es ja allen Beobachtern klar, daß sich eine Mehrheit gegen den Markt auf den Marktplatz aussprechen würde, weil es dort zuwenige Parkmöglichkeiten gibt und die schiefen Ebenen keinen optimalen Standort bieten. Zudem war es absehbar, daß die Umfrage der WNK eine wenn auch dünne Mehrheit für die Ansiedlung eines Edekamarktes auf dem Rhombusgelände ergeben würde. Sonst hätten sich die WNK-Befrager ja wenige Tage vor der Kommunalwahl öffentlich ein Eigentor attestieren müssen. Und was zuvor schon klar war, ist hernach auch eingetreten. Knappe Mehrheit gegen den Markt auf dem Markt und knappe Mehrheit für den XXL-Markt auf Rhombus. Mit anderen Worten, die Befragung, die keine war, ist bloßes Wahlkampftamtam. Dem Befragungstamtam folgt das Auswertungstamtam. Tamtam mit bunten Balkengrafiken. Tamtam mit der jedenfalls in sozialwissenschaftlicher Hinsicht frechen Behauptung, die “Befragung” sei repräsentativ, weil ja fast alle Wermelskirchener Bürger die Möglichkeit gehabt hätten, an der Befragung teilzunehmen. Tamtam. Aufgeblasenes Tamtam. Eine Stichprobe ist dann repräsentativ, wenn von ihr auf die Grundgesamtheit geschlossen werden kann. Wenn sie also mit Blick auf die Fragestellung die Meinung der Gesamtheit ausdrückt. Nicht umsonst steht und fällt die Wissenschaft der Statistik mit der Kunst der Stichprobenbildung. Das lernt man in jedem Statistik-Proseminar. Die WNK hat keine Stichprobe gezogen. Das kann sie vermutlich auch gar nicht. Das könnte keine Partei am Ort. Aber sie bläst sich  auf. Mal wieder. Der Statistikfachmann der WNK, Dr. Werner Güntermann, versteigt sich gar zur Behauptung in der Presse, weil sich eintausendachtundachtzig Bürger unter Angabe ihres Namens beteiligt hätten, “sei das Ergebnis ein repräsentatives Meinungsbild”. MuhahaDoktortiteltamtam. Erst dieses Zitat in der Bergischen Morgenpost hat mich darauf gebracht, mir die Auswertungsdaten von der WNK zu besorgen. Ich wollte nämlich nicht glauben, was ich dort gestern habe lesen dürfen. Irgendein Praktikant, so meine erste Vermutung, hat kenntnislos schreiben dürfen. Aber nein, weit gefehlt. Der Chef war’s. Persönlich. Aus seiner Feder stammt die vollkommen kritikfreie Würdigung der “Befragung”. Die Morgenpost als Wahlkampfbüttel für die WNK. Auch auf lokaler Ebene wird die Presse als vierte Gewalt begriffen. Über Politik und staatliche Macht, über Parteien und Politiker wird berichtet, die Presse kritisiert, wenn Kritik notwendig ist, stellt richtig, wenn Politik und Politiker falsch liegen, Öffentlichkeit wird herstellt, wo Geheimniskrämerei stattfindet. In diesem Sinne fällt die Hälfte der hiesigen Presse als Teil der vierten Gewalt aus, jedenfalls vor der Kommunalwahl. Schade.

Liberale Träume

Da hat das Landesverfassungsgericht der rot-grünen Landesregierung in einer Eilentscheidung aufgegeben, die Bücher über den Haushalt 2010 noch nicht zu schließen, solange keine endgültige Entscheidung des Gerichtshofes ergangen ist. Vordergründig ein Erfolg für die schwarz-gelbe Opposition in Düsseldorf. Zwar haben ihre Abgeordneten die Entscheidung des Parlaments für den Nachtragshaushalt durch nicht vollständiges Erscheinen erst möglich gemacht, doch nun bewerten sie die Entscheidung aus Münster als ihren Erfolg. Eigentlich, so schreibt die Süddeutsche Zeitung heute, “eigentlich müssten CDU und FDP jubeln, angesichts dieses Erfolgs. Eine richtige Opposition müsste sich hinstellen und selbstbewusst die Neuwahl fordern. Aber: CDU und FDP trauen sich nicht, sie haben ein Urteil erstritten, ohne darüber nachzudenken, was sie damit anstellen können. Angesichts schlechter und katastrophaler Umfragewerte haben sie so große Angst vor dem Urteil der Bürger, dass sie Neuwahlen fast um jeden Preis verhindern wollen. Das hätten sie sich vorher überlegen sollen. Das Publikum sieht einen zitternden Prozessgewinner, der nun Angst hat vor der eigenen Courage”. Gerhard Papke, eherner Fraktionschef der Liberalen im Düsseldorfer Landtag und noch im Sommer betonköpfiger Verhinderer einer Ampelkoalition im Land, gegen seinen Vorsitzenden Pinkwart zudem, dieser stählerne Vorkämpfer der Liberalen gegen Rot-Grün, hat die Umfrageergebnisse der letzten Monate wohl doch gelesen und windet und eiert und baggert sich nun nach und nach ran an die Fleischtöpfe der Macht, an die Seite der rot-grünen Koalitionäre. Klar doch, der Mann kann zumindest die drei von der vierzehn unterscheiden und weiß also, daß vor Neuwahlen sich vor allem die ehemals liberale Partei fürchten muß, gegebenenfalls noch die Linken. Also: Papke will die Vorlage aus Münster nicht für den entscheidenden Oppositionsvorstoß nutzen, für Neuwahlen. Wir lernen: Ein Schädel aus Beton ist kein Bollwerk gegen miese Umfragewerte. Steter Tropfen höhlt auch Beton. Der Steinerne, der Eiserne, der Stählerne kapituliert vor der Macht der Zahlen. Auch das ist Politik. Jedenfalls im Land. Hier, in unserer Stadt, sehen die lokalen FDP-Größen das anders. Hier will man untergehen. Der Ortsvorsitzende der FDP, Dr. Werner Güntermann, war laut Bergischer Morgenpost absolut verärgert: “Wir lassen wirklich kein Fettnäpfchen aus.” Er gehe, so heißt es weiter, äußerst kritisch mit den Landespolitikern um und werde “der Landespartei einen geharnischten Brief schreiben”. Denn schließlich müsse man vor Ort den Bürgern Rede und Antwort stehen. Güntermann plädiert für “liberalen Ungehorsam”. Klar. Es ist ja auch schwierig, jede Bundes- oder Landes-Volte der Partei in Ortsverband nachzuvollziehen, sich gehorsam und ohne Widerworte in die Herde hinter den Führern einzureihen. Aber so brav, wie man auch in Wermelskirchen der Degeneration der FDP von einer einst liberalen Partei in eine Ein-Thema-Partei gefolgt ist, so unkritisch die unerträgliche Klientelbedienung der Bundespartei im Ortsverband bejubelt wurde, so apologetisch selbst die krawalligsten Äußerungen des großen Vorsitzenden gefeiert wurden in den Untergliederungen der Partei, so wenig Hoffnung besteht nun auf Würde des eigenen Kopfes, auf produktiven Trotz, auf Mut zur eigenen Meinung, kurzum: auf liberalen Ungehorsam. Nein, nein, die Gleichschaltung der FDP hat schon funktioniert. Heute ist sie vielleicht einer maoistischen Sekte aus den siebziger Jahren ähnlicher als der FDP aus der gleichen Zeit. Der Spuk des liberalen Ungehorsams wird spätestens mit den ersten Landtagswahlergebnissen in diesem Jahr verfliegen, wenn man erfahren muß, daß der Partei der Wind des Wählervotums ins Gesicht weht. Dann wird man auch im Ortsverband Wermelskirchen froh sein, wenn das blau-gelbe Fähnchen in Düsseldorf neben den roten und grünen Flaggen gehißt werden darf. Alles, auch rot-grüne Koalitionsnachbarschaft, ist besser, als per Urnengang aus dem Parlament vertrieben zu werden. Herr Manderla, Herr Dr. Güntermann, wie ist es gut, daß es die harte Realität gibt. Ohne sie verlören Träume jegliche Faszination. Auch liberale Träume. Der Volksmund hat es so formuliert: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss nehmen, was übrig bleibt ! Und Theodor Storm so:  “Vom Unglück zieh erst ab die Schuld; was übrig ist, trag’ in Geduld.”