Die vergangenen Tage füllte die Berichterstattung über das Gipfeltreffen der mächtigsten Industrienationen die ersten drei Scrolls auf den Nachrichtenseiten. Doch die Erlebnisberichte über die Chaosnächte im Schanzenviertel, die Kommentare und klugen Sprüche überdeckten blickdicht die eigentliche Bilanz des Treffens. Was ist bei dir hängengeblieben von Klima, Freihandel, Ukraine-Konflikt oder Afrika-Krise? Bei mir: 500 verletzte Polizisten, 200 Festnahmen, Plünderungen und Straßenschlachten, fliegende Steine, brennende Barrikaden und verkohlte Autowracks. Einsatzkräfte, die seit schlaflosen Tagen auf Adrenalin in ihren Kampfrüstungen und der ständigen Bedrohungen brüten, trafen auf Wohlstandslinke, die den Bürgerkrieg im sicheren Vorgarten der deutschen Demokratie erprobten. Welcher Arbeiter fühlt sich solidarisiert, wenn seine Karre oder die nächste Penny-Filiale zur Unkenntlichkeit verbrennt? Und welch legitime Kapitalismuskritik bleibt sachlich, wenn Protestcamps im Chemiegewürzten Regen der Wasserwerfer geräumt werden? Das Gewalt-Event eskalierte. Zum irrsinnigen Strudel aus Polizisten-Mentalität und rauschhaftem Straßenkampf gesellten sich in der Hansestadt Gaffer, Gelegenheitsplünderer, getarnte Hools, Vollidioten und partygeile Selfie-Autonome. Nachts von Wasserwerfern durch die lodernden Häuserfluchten gejagt zu werden, in denen ihre Niederschläge durchs Scheinwerferlicht funkeln, als habe man die besten Szene von Flashdance und Apokalypse Now verschnitten, bringt jedem Instagram-Profil tausendfach Beachtung. Diesem gewaltdurchtränkten Narzissmus und der hohlen Barrikaden-Romantik fielen jegliche Inhalte zum Opfer. Despoten wie Putin, Erdo und Co. sahen, wie man demokratische Freiheit für konstruktive Kritik nutzt. Geholfen ist damit niemandem – außer vielleicht den rechts-konservativen Lagern, die in den vergangenen Tagen genug Steine für kommende Debatten sammeln konnten.
Bastian Schlange, Redaktionsleiter CORRECTIV.RUHR im Newsletter von heute