„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.” Man sollte meinen, Karl Marx und Friedrich Engels hätten diesen berühmten ersten Satz aus dem Manifest der Kommunistischen Partei erst dieser Tage geschrieben. Dabei wurde das Kommunistische Manifest bereits am 21. Februar 1848 in London veröffentlicht. 162 Jahre sind seither vergangen. Zeit genug also, um eine Gespensterdebatte loszuwerden. Aber nein. In Deutschland werden diese Gespensterdebatten immer wieder gerne geführt. Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei Die Linke, also einer linkssozialistischen bis linkssozialdemokratischen, keineswegs aber kommunistischen Partei, hat in einem eigentlich unbedeutenden Beitrag für die Junge Welt den vielleicht mißverständlichen, jedenfalls aber unbedeutenden Satz formuliert: “Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. (…) Wir müssen lernen, Sackgassen zu verlassen und sie nicht ambitioniert als Wege zum Kommunismus zu preisen.” Und diese eine Vokabel, das böse K-Wort: Kommunismus, reicht hierzulande völlig aus, die Gespensterdebatte loszutreten. “Linke-Chefin erklärt Kommunismus zum Ziel der Partei” orakelte Spiegel-Online. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zieh Lötzsch einer “skandalösen Kommunismussehnsucht”, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt befand, die Politikerin stehe “außerhalb unserer Verfassung”. Natürlich haben all diese Kritikaster sich kaum der Mühe unterzogen, den ganzen Beitrag von Gesine Lötzsch zu lesen, aus dem, wie unglücklich auch immer formuliert, eher das Plädoyer für einen demokratischen Sozialismus herauszulesen ist, denn die Werbung für eine kommunistische Gesellschaftsordnung. So lange es in unserem Land ausreicht, das Wörtchen Kommunismus auszusprechen, um eine geifernde Gespensterdebatte in den Medien, eine publizistische Denunziationswelle in Zeitungen und Zeitschriften, Hysterie und Wut auszulösen, so lange wird sich unsere Elite, die politische und journalistische, als noch nicht reif für wirkliche europäische Einigung erwiesen haben. Kommunismus ist eine klassenlose Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben und die Produktion des gesellschaftlichen Lebens gemeinschaftlich geplant und durchgeführt wird. Kommunismus steht also keineswegs für den Sozialismus, wie er seinerzeit in der DDR, oder den Stalinismus, wie er in der Sowjetunion praktiziert wurde. Kommunismus ist die Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der nicht mehr der Stärkere den Schwächeren unterjochen kann. Wie immer wir auch die Realisierungschancen für eine solche Gesellschaftsformation einschätzen, kann doch die Debatte um eine solche Vision gesellschaftlicher Verhältnisse nicht mit schnaubender Wut und Schaum vor dem Mund geführt werden. Ob es besonders klug ist, als Linken-Parteivorsitzende zumal, publizistisch Wege zum Kommunismus zu erkunden, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Die Denk- und Debattierverbote aber, die nunmehr allenthalben formuliert werden, die erweisen die Bundesrepublik keineswegs als bürgerliche Kulturnation. Kommunismus ist eine entschiedene, eine radikale Fortsetzung dessen, was im Verlauf der bürgerlichen Revolution in Frankreich gedacht und geschrieben wurde. Kommunismus steht aber auch für die Heilserwartung des Urchristentums oder Judentums. Die Idee, das Privateigentum abzuschaffen, fußt auf der grundlegenden Gleichstellung aller Menschen. Und diese Idee ist uralt und wird in mancherlei Naturreligionen und monotheistischen Religionen vertreten. Kommunismus ist weit mehr als Marxismus oder gar Stalinismus. Ärgerlich, daß dies im Land der Dichter und Denker immer mal wieder gesagt werden muß. Betrüblich, daß die Bundesrepublik in Europa noch nicht angekommen ist, in dem weit entspannter als hierzulande über gesellschaftliche Visionen, auch über den Kommunismus nachgedacht und disputiert werden kann.
Nachtrag: “Ich glaube, ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche.” (Thomas Mann 1943 zum 10. Jahrestag der faschistischen Bücherverbrennungen)