Clara Möller ist zehn Monate alt, wie man dem Wermelskirchener Generalanzeiger (WGA) kürzlich entnehmen konnte. Und sie soll, so der Plan ihrer Eltern, demnächst in den Burscheider Kindergarten “Die kleinen Strolche e.V.” gehen, in dem ihre ältere Schwester Hanna bereits seit einiger Zeit ist. Der Kindergarten ist nicht einmal einen Kilometer von der Wohnung entfernt, allerdings auf Burscheider Stadtgebiet. Doch das Jugendamt in Wermelskirchen legt sich quer, indem es sich kategorisch auf einen Ratsbeschluß bezieht, nach dem in Wermelskirchen Tagesmütter den Betreuungsbedarf bei Kindern unter zwei Jahren abdecken sollen. Die Folge wäre, daß die Eltern morgens zwei verschiedene Stellen anzufahren hätten, was ihnen zeitlich jedoch kaum möglich ist. Bürgermeister Weik, so der WGA, möchte “keinen Präzedenzfall” schaffen. Die Leiterin der “Kleinen Strolche” aber ist für das Vorhaben der Eltern und hat sich bei der Verwaltung für Clara und Hanna eingesetzt. “ “Die Familie kennt unsere Einrichtung und vertraut den Mitarbeiterinnen. Dieses Vertrauen ist wichtig, erst recht, wenn es sich um so junge Kinder handelt. Eine «fremde» Betreuerin bedeutet Verunsicherung und zusätzlich Eingewöhnungsaufwand, der nicht notwendig wäre.” Das Kreisjugendamt, für Burscheid zuständig, wäre ebenfalls einverstanden, daß Clara in den Kindergarten ihrer großen Schwester aufgenommen wird, wenn die Wermelskirchener Verwaltung zustimme. Das aber tut sie nicht. Noch nicht. Stattdessen der Rat einer Jugendamtsmitarbeiterin an die Eltern: “Ziehen Sie doch nach Burscheid.” Eine bergische Eulenspiegelei. Muß man die Verwaltung immer noch daran erinnern, daß sie für die Bürger zu arbeiten hat? Täglich lesen wir von den Anstrengungen, ein vereintes Europa zu schaffen. Nur hierzulande leisten wir uns eine idiotische Kleinstaaterei, in einem Umkreis von fünf Kilometern. Das verstehe, wer will. Ein offenbar nicht ganz durchdachter Ratsbeschluß, eine offenbar unwillige Verwaltung, Bürokratenhirne, ein Bürgermeister, der keinen Mut hat, unkonventionell zu helfen – Zutaten, aus denen immer noch kleingeistige Kommunalpolitik gestrickt werden kann. Es wird hohe Zeit, daß sich etwas ändert, nicht nur im fernen Berlin, auch vor unserer Haustür.
Schlagwort: Jugendamt
Krachender Populismus gegen schwierige Pädagogik
Eine Schule in Wermelskirchen, bennant nach dem großen Pädagogen, Menschenfreund, Sozialreformer und Philosophen Johann Heinrich Pestalozzi. Eine Sonderschule. Und: ein Tatort. Die Tat: Ein Schüler wird von Mitschülern geschlagen, getreten, geschubst. Die Folge: Der mißhandelte Schüler, an Asperger Autismus erkrankt, erleidet Prellungen und entwickelt Ängste. Seine Eltern haben Anzeige erstattet und ihr Sohn geht derzeit nicht in die Schule. Über den Vorfall haben beide lokale Zeitungen ausführlich berichtet. Die Druckerschwärze war noch nicht getrocknet, als schon der krachende Populismus einsetzte: Henning Rehse, Fraktionschef der WNKUWG, will der Erste sein, wie immer, und packt die ganz große Keule aus: Er fordert den sofortigen Schulverweis der jugendlichen Täter. “Solche Täter verdienen keine Kuschelsozialpädagogik oder Antieskalationsstrategien. Sie und mögliche Nachahmer verdienen nur ein ganz deutliches Signal: so nicht und jetzt raus!” Ob in der Pestalozzischule Kuschelsozialpädagogik betrieben wird oder nicht, ob dort Antieskalationsstrategien angewandt werden oder nicht, welche Hintergründe der vorliegende Fall hat, ob Lehrer oder Jugendamt versagt haben oder nicht – das alles ist Henning Rehse vollkommen gleichgültig. Hauptsache, die populistische Keule konnte in Betrieb gesetzt werden. Man möchte Henning Rehse das Wort Pestalozzis zurufen: “Das Wesen der Menschlichkeit entfaltet sich nur in der Ruhe.” Und, so frage ich mich und vor allem Henning Rehse: Wohin soll die Gesellschaft mit Schülern, die von einer Sonderschule verwiesen werden? Was machen wir mit jugendlichen Tätern? Knast? Nochmal Pestalozzi an Henning Rehse: “Man muß das Unglück mit Händen und Füßen, nicht mit dem Maul angreifen.” Die Staatsanwaltschaft wird das Verfahren wohl einstellen, denn der Täter ist ein neunjähriger, also noch nicht strafmündiger Schüler. Interessant wird der Fall wohl nur jenseits des unbedachten Politikertumults. Denn bereits im April, so berichtet die Bergische Morgenpost, habe der Schulamtsdirektor des Rheinisch-Bergischen Kreises, Herbert Schiffmann, in einem Gutachten bekräftigt, daß das jugendliche Opfer einen “Integrationshelfer” benötige, also einen Schulbegleiter. Das Jugendamt aber hat dessen Finanzierung abgelehnt. Jugendamtsleiterin Birgit Ludwig-Schieffers, so wird sie in der Morgenpost zitiert, dürfe über die Gründe aber nichts sagen. Sie sei aber offen für ein Gespräch mit den Politikern, sicherte Ludwig-Schieffers zu. Nun, da der Fall in der Welt ist, in der heilen, idyllischen und bislang gewaltfreien Welt des Bergischen Landes, angeheizt wird durch radikale und unbedachte Äußerungen und Formulierungen der lokalen Politiprominenz, nun wird der Mantel des Schweigens übers Handeln – oder Nichthandeln – der Verwaltung gedeckt. Das kann ja wohl nicht angehen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Die Bürger dürfen erfahren, warum das Jugendamt ablehnt, was das Schulamt des Kreises empfiehlt. “Die allgemeine Schiefheit der Menschen in allen bürgerlichen Verhältnissen und ihre allgemeine Verhärtung im gesellschaftlichen Zustand ist eine Folge der innern Verstümmelung der Naturkräfte.” Na klar, Pestalozzi.