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SPD als Partei des moralisch sensiblen Bürgertums

Heinz Bude, 55, Professor für Soziologie an der Universität Kassel, äußert sich heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über die Zukunft der SPD.

Die SPD habe einen Verhinderungswahlkampf betrieben und dafür geworben, zu etwas “nein” zu sagen, wobei unklar blieb, zu was sie eigentlich “ja” sagt. Gerhard Schröder sei 1998 mit der Formel angetreten: Wir brauchen soziale Gerechtigkeit plus gesellschaftliche Innovation. Das war, so Bude, deshalb für die SPD eine sehr gute Formel, weil sie die soziale Gerechtigkeit immer an einem Gegenbegriff messen konnte. Problematisch werde es nun, wenn diese Gegenbegrifflichkeit auseinanderfalle. Die soziale Gerechtigkeit bleibe übrig, nur fehle der Kontrollbegriff, von dem aus man fragen könne: Ist das wichtig für das gesellschaftliche Ganze, müssen wir nicht auch andere Dinge berücksichtigen? Das sei für die SPD vor allem deshalb problematisch, weil ein Überbietungswettbewerb mit der Linken ins Haus stehe. Mit Gerhard Schröder habe die SPD immerhin elf Prozentpunkte mehr als jetzt erhalten. Jetzt müsse die SPD den Begriff der sozialen Gerechtigkeit neu und richtig besetzen. Die Stärkung sozialer Teilhabe heiße mehr als weg mit Hartz IV. Natürlich müsse die SPD klarstellen, wer die Zeche der Krise zu zahlen hat. Was sie aber nicht darf: Eine ihrer Erfolgsgeschichten dementieren.

Die Sozialdemokratie müsse sich auf bestimmte Zielgruppen orientieren, die Milieus der moralischen und sozialen Integrität unserer Gesellschaft, die höhergebildeten und erfolgreichen Frauen, aber natürlich auch die Facharbeiterschaft in der exportorientierten Produktivitätsökonomie und die Leute, die im erweiterten Bereich des öffentlichen Dienstes bemerken, dass es mittlerweile auch ein Feld gesellschaftlicher Prekariarisierung geworden ist. “Die SPD ist im Grunde die Partei des moralisch sensiblen Bürgertums”, so Bude wörtlich.

Die SPD müsse die Partei der Moral und des Realismus sein. In der Gesellschaft gebe es ohnehin eine eher positive Stimmung zu Hartz IV, zumindest was seine Grundidee betrifft – aber auch zu Recht Kritik, wenn es um Kontrolle, Gängelung und Härtefälle geht. Man müsse an Details wie dem Schonvermögen etwas ändern.

Die SPD müsse ihr linkes Profil stärken, ohne die Mitte aufzugeben. Die Definition dessen, was “links” ist, dürfe sie nicht der Linkspartei überlassen. Souverän und glaubhaft solle sie festlegen: Wo wir sind, ist links.

Links aus Versehen

Jemand, der sich, wie ich, in jungen Jahren politisch eingerichtet, als Linker, als Kommunist gar, dann aber, der Bevormundung des eigenen Denkens satt, diese Bindungen durchbrochen und sich seine eigene Meinung zu allem und jedem gestattet hat, liest gewiß gerne, wie andere ähnliche Prozesse für sich beschreiben, wie Weltbilder ins Rutschen geraten: Vom anderen Ausgangspunkt aus zu durchaus ähnlichen Ergebnissen, nein: eher Fragen. Matthias Matussek, ehemaliger Kulturchef des Spiegel, schreibt in Spiegel-Online unter dem Titel: “Krise des Konservativen” wie er “aus Versehen ein Linker wurde.” Lesenswert. Nein, ein Muß, ein unbedingtes Muß.

“Sein Vater war CDU-Politiker, er selbst kiffte und lebte in einer Mao-WG – zum Linken aber wurde Matthias Matussek erst jetzt in der Krise. Denn die Konservativen führen seiner Ansicht nach einen Klassenkampf von oben: Sie zertrümmern Werte, heiligen Kaltschnäuzigkeit und öde Lifestyle-Spießerei”, heißt es im redaktionellen Vorspruch. Bei Matusseks war man konservativ. Als Jugendlicher ein bißchen rebellig, als Erwachsener, als Familienvater aber wieder durchaus konservativ. Wie tausende andere auch. Weiterlesen