“Es ist schon erstaunlich, dass Deutschland ausgerechnet in Zeiten des dramatischen Niedergangs einer bürgerlichen Regierung ein Land ohne Linke ist – zumindest ohne funktionierende Linke.” So beginnt der neue Beitrag von Michael Spreng in seinem Blog “Sprengsatz“. Interessanter Satz eines konservativen Publizisten. Und ist sein Befund schon nur deswegen falsch, weil Spreng kein ausgewiesener Linker ist? Spreng diagnostiziert einen Niedergang von SPD und Linkspartei parallel zum “Abstieg von FDP und CDU/CSU”. Die Linkspartei sei weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Und die SPD irrlichtere mal hier, mal da, sei irgendwie “von allem ein bißchen”. “Ein bisschen Abkehr von der Agenda 2010, ein bisschen Beharren darauf. Ein bisschen Abkehr von Rente mit 67, ein bisschen Bekräftigung der Erfindung ihres Ex-Parteichefs Franz Müntefering. Die SPD ist überall und nirgendwo. So wie ihr Personal: Sigmar Gabriel ist überall, aber nirgendwo richtig, Andrea Nahles ist immer nirgendwo, und Frank-Walter Steinmeier arrangiert sich einerseits und verlangt andererseits Stolz auf die Agenda 2010. Typisch für die SPD ist ihre Haltung zu ‘Stuttgart 21’, ein bisschen dafür, ein bisschen dagegen. So marginalisiert sie sich selbst. Kein Wunder, dass sie inzwischen in Umfragen immer wieder hinter den Grünen rangieren.” Und die Grünen schließlich seien keine Linke Partei mehr, “sie changieren zwischen bürgerlich und außerparlamentarisch, versuchen den Spagat zwischen alten und neuen Wählern”. Kulturell stünden die Grünen der Merkelschen CDU näher als etwa der Linkspartei. “Für ihre neuen Wähler, die ökobewußten Rucola- und Latte-Macchiato-Eltern mit ihren 500-Euro-Kinderwagen, ist die Linkspartei so attraktiv wie eine wässrige Soljanka.” Kurzum, so Spreng, es gebe derzeit kein linkes, kulturell homogenes Lager mehr wie noch 2002. “Die Linkspartei ist das Unterstadt-Schmuddelkind, mit dem keiner aus der Oberstadt spielen will. Die SPD schwankt zwischen rückwärtsgewandt und opportunistisch. Es gibt kein gemeinsames Lebensgefühl, im Gegenteil, die Welten zwischen Grünen, SPD und Linkspartei driften immer mehr auseinander.” Schade nur, daß der Befund von Spreng an dieser Stelle abbricht und er sich mit der eher lahmen Einschätzung begnügt, daß von dieser Entwicklung die CDU/CSU nicht profitieren, sondern die Wahlbeteiligung vermutlich weiter sinken und der Zufall über die Regierungsbildung entscheiden werde. Ist die “bürgerliche”, die “christlich-neoliberale” Koalition das rechte Lager? Dann stellen wir fest, daß sich binnen Jahresfrist das kulturell homogene rechte Lager zerlegt hat und die Welten zwischen Freidemokraten, Christsozialen und Christdemokraten ebenfalls immer mehr auseinanderdriften. Die kleinen Koalitionspartner sehen ihr Heil in noch ärgerer Bedienung ihrer Klientel, der Ärzte und Apotheker, der Hoteliers oder Rechtsanwälte. Die große Koalitionspartei bedient vorwiegend die Interessen der großen (Energie-)Wirtschaft. Und alle zusammen scheren sich keinen Deut um um die Belange der vielen, der Mehrheit im Lande, des Volkes. Es geht nur noch um die Klientel und den Machterhalt. Die Parteien, alle Parteien haben das Große und das Ganze nicht mehr vor Augen. Das Gemeinwesen und das Gemeinwohl treten zurück hinter die Partikularinteressen. Die Folge: Die Bindungskraft der Parteien, in ihrem Gefolge auch die gesellschaftlicher Großorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände läßt merklich nach. Die Milieus in der Republik können nicht mehr eindeutig politischen Strömungen zugeordnet werden. Die Menschen verabschieden sich mehr und mehr von gedankenloser Unterordnung unter gesellschaftliche, ideologische, religiöse Vorgaben. Die Begriffe von einst verlieren ihren Glanz: Links, Rechts, Progressiv, Konservativ. Lager werden zusehends mehr erkannt als das, was sie immer auch waren: Bequeme Grenzen, innerhalb derer gedankliche Anstrengungen, Neugier, Kommunikationslust, Streit ums Bessere, Querdenken, Unangepaßtheit, Freigeist unangebracht waren und sind. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, sagt uns unser Grundgesetz. Aber die Parteien leisten sie nicht alleine, im Gegenteil, sie leisten die politische Willensbildung immer weniger. Sie leisten auch sich politische Willensbildung immer weniger. Hermetische Parteien und unempfindliche Kirchen, Verbände oder Gewerkschaften kann sich eine wohlverstandene bürgerliche Gesellschaft immer weniger leisten. Vielleicht ist das Schlichtungsverfahren um Stuttgart 21 ein Fingerzeig. Hier wird öffentlich verhandelt, mittels modernster Kommunikationstechnologien. Auf Augenhöhe. Hier wird deutlich, daß die ehedem arrogante Nutzung von Machtpositionen auf erheblichen Sachverstand noch machtloser Bürger trifft. Winkelzüge, ideologische Salbaderei, politische Tricks werden hier erkennbar. Transparenz wird zum Kernstück neuer demokratischer Prozesse. Und also gibt es hier massenhaftes Interesse, Zulauf. Demokratie muß sich ja nicht auf die erschöpften Rituale erschöpfter Parteien beschränken.
Schlagwort: Linkspartei
SPD als Partei des moralisch sensiblen Bürgertums
Heinz Bude, 55, Professor für Soziologie an der Universität Kassel, äußert sich heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über die Zukunft der SPD.
Die SPD habe einen Verhinderungswahlkampf betrieben und dafür geworben, zu etwas “nein” zu sagen, wobei unklar blieb, zu was sie eigentlich “ja” sagt. Gerhard Schröder sei 1998 mit der Formel angetreten: Wir brauchen soziale Gerechtigkeit plus gesellschaftliche Innovation. Das war, so Bude, deshalb für die SPD eine sehr gute Formel, weil sie die soziale Gerechtigkeit immer an einem Gegenbegriff messen konnte. Problematisch werde es nun, wenn diese Gegenbegrifflichkeit auseinanderfalle. Die soziale Gerechtigkeit bleibe übrig, nur fehle der Kontrollbegriff, von dem aus man fragen könne: Ist das wichtig für das gesellschaftliche Ganze, müssen wir nicht auch andere Dinge berücksichtigen? Das sei für die SPD vor allem deshalb problematisch, weil ein Überbietungswettbewerb mit der Linken ins Haus stehe. Mit Gerhard Schröder habe die SPD immerhin elf Prozentpunkte mehr als jetzt erhalten. Jetzt müsse die SPD den Begriff der sozialen Gerechtigkeit neu und richtig besetzen. Die Stärkung sozialer Teilhabe heiße mehr als weg mit Hartz IV. Natürlich müsse die SPD klarstellen, wer die Zeche der Krise zu zahlen hat. Was sie aber nicht darf: Eine ihrer Erfolgsgeschichten dementieren.
Die Sozialdemokratie müsse sich auf bestimmte Zielgruppen orientieren, die Milieus der moralischen und sozialen Integrität unserer Gesellschaft, die höhergebildeten und erfolgreichen Frauen, aber natürlich auch die Facharbeiterschaft in der exportorientierten Produktivitätsökonomie und die Leute, die im erweiterten Bereich des öffentlichen Dienstes bemerken, dass es mittlerweile auch ein Feld gesellschaftlicher Prekariarisierung geworden ist. “Die SPD ist im Grunde die Partei des moralisch sensiblen Bürgertums”, so Bude wörtlich.
Die SPD müsse die Partei der Moral und des Realismus sein. In der Gesellschaft gebe es ohnehin eine eher positive Stimmung zu Hartz IV, zumindest was seine Grundidee betrifft – aber auch zu Recht Kritik, wenn es um Kontrolle, Gängelung und Härtefälle geht. Man müsse an Details wie dem Schonvermögen etwas ändern.
Die SPD müsse ihr linkes Profil stärken, ohne die Mitte aufzugeben. Die Definition dessen, was “links” ist, dürfe sie nicht der Linkspartei überlassen. Souverän und glaubhaft solle sie festlegen: Wo wir sind, ist links.