Vom tschechoslowakisch-deutschen Schriftsteller Louis Fürnberg stammt das “Lied der Partei”, in dessen Refrain es heißt: “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!” Das Lied der Partei galt als Hymne der SED. Dabei war es ursprünglich als Huldigung an den IX. Parteitag der KPČ geschrieben worden. Fürnberg war nicht zu diesem Parteitag eingeladen worden und schrieb das Lied aus verzweifeltem Trotz, um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. Die Partei hat eben immer Recht. Aber: Gilt das nur für kommunistische, für leninistische Parteien? Gilt das nicht auch, ansatzweise jedenfalls, für andere Parteien? Die CDU hat in Baden Württemberg hat Recht, gegen die CDU-Mitglieder, die gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen. Die SPD hat Recht, gegen die, die sich kritisch gegen den Ausschluß von Thilo Sarrazin wenden. Die FDP hat Recht, gegen jene Mitglieder, die sich kritisch mit der Führungsrolle des Vorsitzenden Westerwelle auseinandersetzen. Alle Parteien tun sich schwer mit Mitgliedern, die sich schwer tun mit Parteilinien, die sich Vorgaben nicht unterordnen, die ihre eigene Meinung nicht an der Parteigarderobe abgeben. Das Wesen der Partei ist, möglichst geschlossen die eigenen Interessen durchzusetzen. Also können abweichende Positionen nur in begrenztem Maß in einer Partei ausgehalten werden. In dem Sinne sozialisiert jede Partei ihre Mitglieder. Wer nach diesem Prozeß immer noch der Meinung ist, die Partei habe nicht immer Recht, der muß sich anderswo seinen Platz suchen. Wir können das in Wermelskirchen ganz gut an den Abspaltungen von der CDU studieren. UWG, WNK und Büfo sind allesamt Fleisch vom Fleische der christlichen Union. Verlorene Machtkämpfe, unterschiedliche Positionen, nicht erfüllte Karrierewünsche, was auch immer zu diesen Erosionen geführt haben mag: Die Partei hat immer Recht behalten. In diesem Fall die CDU. Abspaltungen sind aber nur eine Seite der Medaille. Viel spannender ist die nachlassende Bindungskraft der Parteien. (Im übrigen: Nicht nur der Parteien. Auch andere Großorganisationen, Kirchen beispielsweise oder Gewerkschaften, erleiden einen grandiosen Bedeutungsverlust.) Die ursprünglichen Milieus, in denen die Parteien prosperieren konnten, haben sich weitgehend aufgelöst. Beispielsweise haben bei der Bundestagswahl 2009 mehr Arbeiter die CDU gewählt als die (ursprüngliche Arbeiterpartei) SPD. Ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft ist das einer zunehmenden Individualisierung. Das bedeutet nicht zugleich auch Entpolitisierung, was etwa an der sich neu entwickelnden Bewegung gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke deutlich wird oder an den Demonstrationen gegen Stuttgart 21. Viele Bürger sind nach wie vor bereit, sich zu engagieren. Vor allem dann, wenn sie unmittelbar betroffen von Entscheidungen der Politik sind. Wozu sie aber immer weniger bereit sind, das ist die regelmäßige Unterordnung unter weitgehend ritualisierte Parteipolitik, das ist das Abnicken dessen, was in Vorständen und Zirkeln vorbesprochen wurde, das ist die Duldung eines floskelhaften und lebensfernen Politjargons. Und: Wenn es ungerecht zugeht in der Gesellschaft, wenn Partikularinteressen bedient werden, statt das Gemeinwohl zu stärken, dann können Parteien keine gute Konjunktur haben. Das Ergebnis ist dann eher so etwas wie Parteienverdossenheit. Gut zu studieren am aktuellen Ranking der FDP in den Umfragen oder am famosen Scheitern der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen. Und zuvor am niederschmetternden Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl. Alle Parteien erleiden diesen Bedeutungsverlust gleichermaßen. Ihnen gelingt es zusehends weniger, Menschen zu mobilisieren. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Immer weniger Menschen nehmen ihr Wahlrecht wahr. Für immer weniger Menschen also gilt: Die Partei hat immer Recht. Im eigenen Saft schmort es sich ganz gut. “Wir müssen raus ins Leben”, hatte der SPD-Vorsitzende Gabriel die nach der Wahlschlappe unter Schock stehenden Sozialdemokraten beim Dresdner Parteitag im November 2009 in einer fulminanten Rede angefeuert: “Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Denn nur da ist das Leben!” Eben. In der Partei, in den Parteien ist zu wenig Leben. Stattdessen die Bekehrung der Bekehrten. Die Parteien müssen sich anstrengen, um Bürger wieder zu interessieren. Sie müssen sich ihnen zuwenden. Mit anderen Angeboten als den hergebrachten. Offene Debatten sind erforderlich, ganz ohne jede Parteiraison. Die Partei hat eben nicht immer Recht, keine Partei. Parteien können und müssen lernen, vom Bürger. Das alles wird indes kaum etwas nützen, wenn Parteien das Gemeinwohl aus dem Auge verlieren. Eine Gesundheitsreform, die nur die Versicherten ausplündert und das als “Reform” verkaufen will, den bestverdienenen Pharmaunternehmen aber keine Preis- oder Qualitätsvorschriften macht, eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, die selbst von den Experten der Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten wird und die den kommunalen Energieversorgungsunternehmen enorm schadet, ein “Spar”haushalt mit sozialer Schieflage – all das kann durchs beste Marketing nicht verbessert werden. Die Menschen rücken von den Parteien ab, aber sie haben sich das Gefühl und Gespür für mangelnde Gerechtigkeit bewahrt. Und sie werden den Parteien erneut den Denkzettel ausstellen. Wie heißt es so schön in Fürnbergs Parteihymne? “Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht.”
Schlagwort: Parteien
Genosse – oder so …
Genosse, das leitet sich vom althochdeutschen “ginoz” ab und das ist jemand, der mit einem anderen etwas genießt. Noch zu finden im deutschen Wort “Bettgenosse”. Heute aber bezeichnet das Wort eher einen Gefährten, jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich teilt, der dieselben Ziele hat und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann. Gemeint ist meist die Politik, Politik linker Parteien, Sozialdemokraten, Sozialisten oder Kommunisten. Nun wird es zusehends schwieriger, Politik und Genuß unter einen Hut zu bekommen. Früher, als Parteien, linke zumal, auch Familienersatz waren, Heimat, soziale Umgebung, Umfeld, da hatte das Wörtchen Genosse seinen besonderen Sinn. Man arbeitete zusammen, kämpfte gemeinsam für die gleichen Interessen, lebte gemeinsam, im Viertel, Stadtteil, in sozialen Verbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften. Und die, denen man zugetan war, von denen man lernte, die man beschützte, das waren die Genossen. Heute ist eher so etwas wie intellektuelle Übereinstimmung in politischen Fragen zu finden, nicht mehr aber gemeinsames Leben, Arbeiten und Kämpfen. Genosse ist man im Kopf. Mehr als mit dem Leib. Ich bin auch ein Genosse. Ein Gast-Genosse, um es genau zu sagen. Gast und Genosse der Wermelskirchener SPD. Für ein Jahr. Und heute Abend habe ich wieder einen tiefen Blick in das Innenleben der Sozialdemokratischen Partei werfen dürfen. Mitgliederversammlung. Thema: Koalitionsvertrag. Gut vorbereitet, eine stringente Diskussion, die vor allem die Frage behandelte, welche Auswirkungen die Absichtserklärungen auf Landesebene für die praktische kommunalpolitische Arbeit haben dürften. Dabei standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Bildung und Schule sowie die Kommunalpolitik, kommunale Finanzen, Änderungen der Gemeindeverfassung, Schulden. Das Dilemma: Die Partei ist die Fraktion und das Denken der Fraktion beherrscht das Denken der Partei. Vermutlich ist das bei den anderen Parteien hier im Ort nicht grundlegend anders. Was wichtig ist für den Rat und die Ausschüsse, das ist Thema der Partei. Kommunalpolitik wird verengt auf Rat und Verwaltung. Und dann fehlt am Ende die Kraft, sich auch den ganz anderen Themen zuzuwenden, die mit dieser eng verstandenen Kommunalpolitik nicht zu treffen sind. Was denken die Bürger? Welche Debatten gibt es in der Stadt? Können wir gegen den Wegzug des Kinderarztes etwas ausrichten? Wenn nein, befassen wir uns nicht sehr gründlich damit. Weil wir keinen Einfluß haben und keinen Zugriff. Haben wir Möglichkeiten, kommunale wohlverstanden, gegen die Verlagerung der Polizeistation etwas zu unternehmen? Nein, Landessache. Also mischen wir uns nicht ein. Auf diese Weise wird politische Kultur verengt. Auf Machbarkeit. Einmischen? Natürlich! Aber dort, wo wir Handlungsmöglichkeiten haben. Alles andere will gut bedacht sein. Auf diese Weise wird öffentliche Kommunikation drittrangig. Nicht nur in der SPD. In allen anderen Parteien auch. Von Ausnahmen abgesehen, etwa den Leserbriefen von Henning Rehse. Und mit diesen Briefen will Henning Rehse punkten, für die WNK. Das ist vollkommen legitim. Aber kein Beitrag zu einer öffentlichen Kommunikationskultur der Parteien. Zudem schreibt die Leserbriefe immer wieder nur Henning Rehse, nicht auch andere WNK-Leute. Grüne, Linke, Büfo, CDU, immer mal wieder ist etwas zu lesen, nicht wirklich viel, aber zu Themen aus Rat und Verwaltung. Kinderarzt oder Polizeistation sind nur zwei willkürlich gegriffene, aber gute Beispiele. Warum gibt es keine parteiübergreifende Initiative, solche Dinge breit und öffentlich zu behandeln? Nur, weil wir, die Parteien, vordergründig nichts ändern können? “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” So heißt es im Artikel 21 (1) unseres Grundgesetzes. Wirken mit. Tun sie aber oft genug nicht. Der Bürger macht sich so seine Gedanken, meist an den Parteien vorbei. Sammelt mitunter sogar tausende von Unterschriften, so ganz ohne die Parteien. Weil die Parteien oft dort nicht sind, wo Bürger Sorgen haben, debattieren, wo öffentlicher Meinungsaustausch ist. Politische Willensbildung geht weit über das hinaus, was im kommunalen Rahmen in Rat oder Verwaltung eine große Rolle spielt. Zur politischen Willensbildung gehören auch die zentralen Begriffe und Werte, die unsere Demokratie auszeichnen, etwa Gemeinwesen, Gemeinwohl. Was ist das? Geht Politik immer noch vom Gedanken des Gemeinwohls aus? Welche Werte bestimmen und beherrschen unsere Gesellschaft? Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Geht es gerecht zu in unserem Land, in unserer Stadt? Lassen wir, lassen sich die Parteien immer von diesem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit leiten, wenn sie ihre Politik entwickeln? Wie bestimmen wir das Verhältnis von politischer Konkurrenz, von der Vertretung von Interessen und dem Gemeinwohl? Sitzen in solchen Fragen die Parteien nicht eigentlich im selben Boot? Offenbar nicht. Denn Debatten über politische Kultur – und darum geht es – stehen zurück hinter Ratsproblemen und Verwaltungsfragen. Kein Wunder, finde ich, daß Politik nicht mehr sexy ist, daß die Parteien einen Bedeutungsverlust erleiden, auch auf kommunaler Ebene. Wer das Gespräch der Bürger nicht fördert, wird von den Bürgern auch nicht mehr gefragt, nicht mehr gefordert, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als nützlich empfunden. All das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Problem. Es trifft Christ- oder Freidemokraten gleichermaßen, Grüne oder Linke, Büfo oder WNK. Wie soll sich Meinungsfreude entwickeln, Debattierlust, Mitwirkung, wenn Parteien nicht über ihren Tellerrand kommunalpolitischer Mühsal schauen können? Wie soll eigentlich Zivilcourage entstehen, gestärkt, vorgelebt werden im Gemeinwesen, wenn sich in Parteien immer wieder die Bekehrung der Bekehrten vollzieht? Ab morgen werden wir in Nordrhein-Westfalen mit einem für unser Land vollkommen neuen Politikmodell zu tun haben, einer Minderheitsregierung. Einer Regierung, die sich von Fall zu Fall ihre Mehrheiten neu suchen muß. Die alten Antworten werden nichts mehr wert sein. Fundamentalopposition, wie von der CDU angekündigt, ist der falsche Weg. Wer garantiert der CDU eigentlich, daß ihr Einfluß durch eine solche Politik größer wird? Politik muß, dafür sorgen die Wähler nunmehr fast bei jeder Wahl, neue Antworten finden, auf neue und alte Fragen. Politik muß kommunikationsfähiger, kommunikationsfähig werden, nach innen und in Richtung der Bürger. Und ob man sich nun Genosse nennt oder Parteifreund, Bruder oder Kamerad, das spielt in Wahrheit keine große Rolle. Merkwürdig, welche Gedanken einen ereilen, nur weil man einen warmen Abend lang ohne auch nur eine Zigarette auf eigentlich doch erfreuliche Weise politische Fragen diskutiert und es genossen hat. Mit den Genossen. Mal wieder.
Warum eigentlich nicht?
“Gestaltungsmacht aus der Opposition heraus.” Kraftvoll klingt das in meinen Ohren nicht, was Hannelore Kraft nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen nunmehr als Strategie für die SPD im Land ausgibt. Warum eigentlich bilden SPD und Grüne keine Minderheitsregierung? Frau Kraft könnte sich im vierten Wahlgang mit einfacher Stimmenmehrheit im Landtag zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Das sieht die Landesverfassung im Artikel 52 (2) vor. ” Kommt eine Wahl gemäß Absatz 1 nicht zustande, so findet innerhalb von 14 Tagen ein zweiter, gegebenenfalls ein dritter Wahlgang statt, in dem der gewählt ist, der mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so findet eine Stichwahl zwischen den beiden Vorgeschlagenen statt, die die höchste Stimmenzahl erhalten haben.” SPD und Grüne stellen im neuen Landtag zusammen neunzig Mandate, FDP und CDU dagegen nur achtzig. Daß die Linke mit ihren elf Abgeordneten in einer solchen Abstimmung Jürgen Rüttgers ins Amt hievt, ist doch eher unwahrscheinlich. Es bestünde mithin eine veritable Chance, die nunmehr geschäftsführende schwarz-gelbe Regierung abzuwählen. Minderheitsregierungen und damit wechselnde Mehrheiten sind an sich nichts Ungewöhnliches im Politikbetrieb. In den skandinavischen Ländern, selbst in Holland oder Belgien oder anderen Nachbarländern hat es das schon häufiger gegeben. Offenkundig sind die politischen Parteien hierzulande, alle, noch nicht imstande, mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen umzugehen, wie sie in den Wahlergebnissen zum Ausdruck kommen. Sie klammern sich verzweifelt an die hergebrachten politischen Muster. Nicht jeder kann mit jedem, Koalitionsverträge müssen für die Dauer einer Legislaturperiode halten. Warum eigentlich? Warum eigentlich können SPD und Grüne nicht mit der FDP in der Rechtspolitik Gesetze beschließen? Warum eigentlich können SPD und Grüne mit der CDU nicht steuerpolitisch das Richtige tun? Warum eigentlich können Grüne und SPD mit der Linken nicht schulpolitisch neue Weichen stellen? Warum eigentlich nicht? Gerade jetzt ginge es darum, mit gehörigem politischen Mut gesellschaftliche Reformen voranzubringen, zur Not eben mit wechselnden Mehrheiten. Stattdessen erheben die Parteien die wechselseitige Blockade in den Stand der politischen Weisheit. Und nachgerade dumm ist es, die Regierung den Kräften zu überlassen, denen an Veränderung nicht gelegen ist. Jetzt muß es doch vor allem darum gehen, daß die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter vertieft wird. Also muß von Nordrhein-Westfalen aus der Versuch gemacht werden, die unsoziale Politik der Bundesregierung über den Bundesrat zu bremsen, also muß von Nordrhein-Westfalen ein Signal ausgehen, sich im parlamentarischen Fünf-Parteien-System der vorhandenen Fesseln der Parteipolitik zu entledigen.
Die wahren Zahlen
Zeitungen, Radio und Fernsehen sind voller Zahlen übers Wahlergebnis von gestern. Nur, damit es nicht in Vergessenheit gerät, hier die wahren – und erschreckenden – Ergebnisse der gestrigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: 40,7 Prozent aller Wahlberechtigten haben nicht gewählt. 20,2 Prozent aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimme der CDU, 20,16 Prozent der SPD. 7,1 Prozent aller Stimmen machten die Grünen zum Wahlsieger. 3,9 Prozent aller Wahlberechtigten wählten die FDP und 3,3 Prozent die LINKE. CDU und SPD zusammen haben weniger Stimmen als die Partei der Nichtwähler. Eine Koalition aus SPD, Grünen und LINKE repräsentierte nur 30,6 Prozent aller Wahlbürger in Nordrhein-Westfalen.
Der Wähler, das unbekannte Wesen
Was weiß man eigentlich schon vom „Wähler“? Selbst in Zeiten hochausgeklügelter demoskopischer Verfahren bleibt „der Wähler” ein eher unbekanntes Wesen, ausgestattet vielleicht mit einer gewissen Portion List oder Tücke, womöglich sogar Häme. Vielleicht weiß man von seinem Gegenstück, dem “Nicht-Wähler“, doch mehr. Der Nicht-Wähler verweigert sich einfach, ignoriert den politischen Betrieb, verweigert sich Gesellschaft, Krise oder Gemeinwohl, entledigt sich gesellschaftlicher Verantwortung, indigniert bis angeekelt. Der Wähler hingegen gibt Rätsel auf. Den Politikern, den Parteien, den Medien, auch den Bürgern, dem Gemeinwesen. Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte hat er, der “Wähler”, in der Bundesrepublik und den Bundesländern ein Fünf-Parteien-System etabliert. Und damit dem Politikbetrieb eine komplizierte Aufgabe vorgelegt. Rot-Grün, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, die ehedem so einfachen Antworten auf ein Votum des Wählers, funktionieren heutzutage nicht mehr. Das politische System in der Bundesrepublik muß sich auf kompliziertere politische Mehrheitsfindungsmechanismen einlassen, auf risikoreichere Konstellationen, auf bislang Undenkbares und Ungedachtes. Die simplen Antworten sind von gestern. Rote-Socken-Kampagnen oder der Verweis auf die extremistische Natur der Linken sogar von vorgestern. Nach der NRW-Wahl von gestern ist eine linke Partei jenseits der SPD heute und morgen Realität in den deutschen Parlamenten. Weil der Wähler das so will. Der Wähler ist der Souverän, der, der über allen steht, der Inhaber der Staatsgewalt. Koalitionen von drei Parteien werden zur Normalität werden (müssen), ob die Parteien das nun so haben wollten oder nicht. Rot-Rot-Grün wäre also eine mögliche Lösung der vom Wähler gestellten Aufgabe. Warum auch nicht? Die Linke ist nicht regierungsfähig. Na klar. Die Linke wird so lange nicht regierungsfähig sein und bleiben, so lange sie nicht in entsprechende vertragliche Vereinbarungen eingebunden werden wird. Koalition bedeutet doch, daß keine Partei ihre politischen Wünsche und Zielsetzungen ungekürzt in Regierungshandeln umsetzen kann. Das Wesen der Koalition ist Kompromiß und Absprache. Das aber setzt rationales politisches Handeln voraus. Was will ich, was willst du, was können wir gemeinsam bewerkstelligen? Aushandeln von Interessen. Was gebe ich auf keinen Fall preis, was ist für dich auf keinen Fall verhandelbar, worauf können wir uns einigen? Die Frage ist also: Gibt es zwischen SPD, Grünen und Linken einen gemeinsamen Kernbestand politischer Ziele in der Landespolitik? Könnte man sich für eine Legislaturperiode auf eine gemeinsame Bildungspolitik, eine gemeinsame Forschungs- und Hochschulpolitik, eine gemeinsame Industrie- und Arbeitsplatzpolitik, auf eine sinnvolle Finanzierung der Kommunen einigen, um nur einige Beispiele zu nennen? Ich frage mich, warum das bei Rot-Grün möglich sein sollte oder im Zweifel gar bei Rot-Schwarz, bei Rot-Rot-Grün indes auf keinen Fall. Die Zeiten, in denen Rot-Grün ein “Projekt” war, diese Zeiten sind erledigt. Überhöhungen jedweder Art haben sich überlebt. Rot-Grün ist so wenig ein Projekt, wie Rot-Rot-Grün je eines hätte sein können. Es geht um weniger und um mehr. Es geht um rationale Politik, um die Definition der eigenen Interessen, um den Abgleich mit den Interessen anderer, um die rationale Einschätzung dessen, was in einer mehrheitsfähigen Parteienkonstellation durchsetzbar ist und was nicht. Und es geht darum, das Votum des Wählers ernster zu nehmen, als dies bislang die Parteien vermochten. Rot-Gelb-Grün, die “Ampelkoalition”, ist eine andere denkbare Drei-Parteien-Konstellation. Ampel geht gar nicht, sagt die FDP. Warum sollte eine solche Koalition nicht zum Wohle des Landes arbeiten können? Ist ein gemeinsamer Zielkatalog in der Bildungspolitik, in der Hochschulpolitik, in anderen Politikfeldern zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wirklich undenkbar? In Rheinland-Pfalz koaliert die FDP mit der SPD. Im Saarland die Grünen mit FDP und CDU. Warum soll in Düsseldorf undenkbar sein, was in Mainz oder Saarbrücken funktioniert. Die Parteien müssen sich nur in Bewegung setzen. Die FDP muß sich bewegen. Der Wähler will das so. Er hat das Steuersenkungsmantra abgestraft. Er hat die babylonische Verkettung mit der CDU abgestraft. Eine moderne liberale Partei wird nach dieser Wahl neu zu überlegen haben, wie eng oder wie breit man liberale Politik anlegen muß, wie sehr man sich nur einem kleinen Klientel hingibt oder wie die sozialen Wurzeln des Liberalismus wieder belebt und in politisches Programm übersetzt werden können. Eine moderne liberale Partei wird auch daran gemessen werden, vom Wähler, daß sie nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird, dem Markt, daß sie die unkontrollierte Macht des Finanzkapitals zu bändigen bereit sein wird. Das Soziale, das Gemeinwohl wird eine größere Rolle im liberalen Gedankengut spielen müssen als in den vergangenen Jahren, die Einsicht, daß der Markt nicht alles zu regeln imstande ist, daß die Menschen ein starkes Gemeinwesen, einen handlungsfähigen Staat dringend benötigen. Der “Wähler” hat Antworten gegeben auf das Angebot der Parteien. Listig und irgendwie hintersinnig. Nun liegt der Ball im Spielfeld der Parteien.
Kauderwelsch
“Nach der Genehmigung der Garantieleistungen durch die EU-Kommission und der Auslagerung von strategisch nicht mehr benötigten Geschäftsteilen in eine Konsolidierungsanstalt nach den Vorgaben des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes drängen wir darauf, dass das Land sich so schnell wie möglich vom Landesanteil an der West LB AG trennt.” Sowas steht heutzutage in Parteiprogrammen zur Landtagswahl. Wer so schreibt, der denkt auch so. Unverständlich. Unkommunikativ. Am Bürger vorbei. Am eigenen Parteivolk vorbei. Kein Wunder, daß die Menschen sich mit Grausen von den Parteien abwenden. Jedenfalls keine Parteiprogramme mehr lesen. Im Grunde ist es vollkommen gleichgültig, welche Partei diesen Satz erbrochen hat. Deswegen nur der Hinweis, daß das Parteikürzel mit F beginnt.
Flach wie ein Plakat
“Original Sozial”, “Aufsteigerland NRW”, “Deppe macht’s”, “Leistung durch Aufstieg” – nur einige der Plakatkunststücke, die derzeit das Aussehen der Stadt beeinträchtigen. Beeinträchtigen? Verschandeln. Gegen Plakatkunst hätte ich ja nichts. Aber Wahlkampf mit derart schalen und armseligen Texten und Sprüchen? Mein Gott, für wie blöd halten uns Bürger die Parteien denn eigentlich?
Spendenrepublik
Es ist ja nun nicht so, daß Spenden an Parteien mit der Mövenpickzahlung an die FDP zum ersten mal in der Geschichte der Republik in den Fokus der Öffentlichkeit geraten wären. In den fünfziger Jahren gab es die Geschichten um die Staatsbürgerliche Vereinigung. Mehrere hundert Millionen Mark – es handelte sich also nicht um Kleinspenden von Privatleuten, sondern Großgaben von Unternehmen – sollen in die Kassen von CDU, CSU und FDP geflossen sein. Illegal. In den achtziger Jahren erschütterte der berühmte Flickspendenskandal die Republik. Als “Lanschaftspflege” wurden die Spenden an die Parteien damals bezeichnet. Helmut Kohl hatte seinerzeit seine Erinnerung im Stich gelassen. Jahre später hatte sich Kohl wiederum in illegalen Spendenzahlungen verheddert und bis heute, gegen die Gesetze der Republik, die Namen seiner Wohltäter nicht genannt. Gut bekannt sind auch die illegalen Geldwäschegeschäfte der hessischen CDU in den neunziger Jahren, die Roland Koch ja brutalstmöglich aufklären wollte. Schäuble konnte sich an 100.000 Mark nicht mehr so richtig erinnern, die ihm der Waffenlobbyist Schreiber hat zukommen lassen. Für dubiose Spendenpirouetten ihres nordrheinwestfälischen Vorsitzenden Möllemann mußte die FDP etliche Millionen Strafe zahlen. Kurzum: Illegale Spendenzahlungen an Parteien und ungesetzlicher Umgang der Parteien mit solchen Gaben garnieren die Geschichte der Republik. Insoweit ist es keineswegs verwunderlich, wenn auch die jüngsten Zahlungen des Barons von Finck an CSU und FDP in den Augen der meisten Beobachter und der Mehrheit der Bevölkerung ein “Geschmäckle” haben. Auch, wenn in diesen Fällen alles ordnungsgemäß verbucht und veröffentlich worden ist. Wer käufliche Parteien der Demokratie nicht für dienlich hält, wer den Druck des großen Geldes auf Parteien, Regierung, Parlament und Politik abbauen will, der muß die Spendenregelungen ändern. Transparency International Deutschland hält eine Begrenzung auf 50.000 Euro pro Jahr für angemessen. Die Grünen planen, Spenden an eine Partei auf einen jährlichen Betrag zwischen 50.000 und 100.000 Euro zu begrenzen. “Klar ist: In anderen europäischen Ländern hat man längst eine restriktivere Handhabung als in Deutschland eingeführt.
- In Frankreich etwa darf nur bis maximal 7500 Euro pro Jahr, im Rahmen von Wahlkampagnen sogar nur bis 4600 Euro gespendet werden – und auch das lediglich von Privatpersonen. Firmen ist die finanzielle Unterstützung von Parteien rechtlich komplett untersagt.
- Ganz besonders wenig darf in Belgien gespendet werden: Einzelnen Parteien kann höchstens mit 500 Euro unter die Arme gegriffen werden.
- Strikte Obergrenzen existieren auch in Italien (10.000 Euro pro Jahr)
- und in Portugal (10.500 Euro).
- Die Spanier haben mit 55.000 Euro etwas mehr Spielraum,
- in Holland ist ein Gesetz in der Mache, das Spenden auf 50.000 Euro deckeln soll.
- In Polen gibt es ebenfalls eine Grenze, die sich aber am 15-fachen des durchschnittlichen monatlichen Mindesteinkommens orientiert.” (zitiert nach Spiegel-Online, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,672756,00.html)
Alle hier vorgestellten Regelungen sind besser als unsere.
Internet: FDP weit vorne
Sieben Parteien sind im Rat vertreten. Keine Wermelskirchener Partei gibt regelmäßig eine Zeitung heraus, der man entnehmen könnte, welche Ziele sie verfolgt, was sie plant, welche Initiativen sie ergreift. Und seit der Kommunalwahl ist die Zeit der Flugblätter und Flyer ebenfalls vorbei. Braucht man ja auch nicht in Zeiten, in denen das Internet das schnellste aller Medien darstellt. Also werden die Parteien im Internet, auf ihren Homepages ihre Ziele öffentlich machen, ihre Initiativen, ihre Vorschläge, ihre Einschätzungen. Also, mal eben nachgesehen. Bürgerforum: Das Ergebnis der Kommunalwahl wird bekanntgegeben. Sonst nichts. WNK/UWG: Man wünscht mir Frohe Weihnachten und ein Frohes Neues Jahr. Politik gibts nicht. Die Linke: Die Kommunalwahl hat stattgefunden, ansonsten ist die Seite so unübersichtlich wie immer. Die Grünen: Immerhin geben die Grünen den Kooperationsvertrag mit den anderen Fraktionen bekannt und die Termine sind aktuell. CDU: Die CDU gibt seit dem 27. Dezember immerhin einen aktuellen Termin bekannt. Der Rest: Alte Wahlkampfschnipsel. SPD: Die SPD ist im Monat Oktober steckengeblieben. FDP: Die FDP nutzt als einzige Partei in Wermelskirchen das Internet als aktelles Medium. Da hat der Klimagipfel stattgefunden, da gibt’s das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, da ist Christian Lindner Generalsekretär seiner Partei, dort kann man Stellungnahmen und Artikel lesen, die aktuelle Positionen der FDP deutlich machen. Die FDP ist offenbar die einzige Partei am Ort, die das Internet als aktuelles Medium nutzt und pflegt.