Schlagwort: Schuldfähigkeit

Zurechnungsfähig

Zurechnungsfähig. Ein interessantes Wort. Das Nomen ist die Zurechnungsfähigkeit. Und das Gegenteil die Unzurechnungsfähigkeit. Wer zurechnungsfähig ist, ist schuldfähig, kann für seine Taten, sein Verhalten zur Rechenschaft herangezogen werden. Und bei Unzurechnungsfähigkeit kann auf Schuld nicht erkannt werden. Je häufiger ich indes das Wort lese oder schreibe, desto sinnärmer scheint es mir zu sein. Zurechnungsfähigkeit scheint mit Normalität assoziiert zu sein, mit regelhaftem Verhalten, Unzurechnungsfähigkeit mit Abweichung vom Normalen, Verstehbaren, Begreifbaren. Können wir jemanden für zurechnungsfähig halten, für voll nehmen, haftbar machen, der siebenundsiebzig Menschen getötet hat, kaltblütig, planvoll? Können wir einem solchen Menschen die Zurechnungsfähigkeit zurechnen? Haben wir die Fähigkeit, angesichts des verrückt-unvorstellbaren Grauens, das in seinen Taten liegt, und angesichts der monströs-kruden Begründungen, die der Täter nach der Tat lieferte, ihm, dem Täter Eigenverantwortung, Rationalität, Autonomie, Entscheidungsfähigkeit zuzurechnen? Warum eigentlich kann nur jemand Schuld auf sich laden und für diese Schuld auch büßen müssen, der zurechnungsfähig ist? Und inwiefern ist ein Unzurechnungsfähiger schuldlos, nicht zu beschuldigen? Können wir nicht jemanden für unzurechnungsfähig und zugleich schuldfähig halten? Ist jemand zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig, handelt es sich also um eine Eigenschaft, oder hält man jemanden für zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig? Dann handelte es sich um eine Zuschreibung, ein Urteil über jemanden. Die Zurechnung der Zurechnungsfähigkeit liegt bei jenen, die urteilen. Es geht also um unsere eigene Zurechnungsfähigkeit. Von ihr hängt ab, wie viel Eigenverantwortung wir dem anderen zutrauen, wie viel Urteilskraft wir ihm beimessen, wie viel Menschliches wir in seinem Handeln erkennen. Dies heißt, die Zurechnungsfähigkeit existiert nicht einfach, sie ist nicht objektiv vorhanden, sondern direkt abhängig von demjenigen, der sie zurechnet oder nicht. Ich mit meiner Zurechnungsfähigkeit vermag dem Massenmörder keine Zurechnungsfähigkeit zuzurechnen. Diesem Massenmörder in Norwegen nicht, jenen Massenmördern nicht, die mit Bomben, Flugzeugen oder Kriegswaffen die Zivilisation hinter sich lassen. Eine Zuschreibung des Pathologischen, Krankhaften, des Wahn-Sinns, der Verrückt-Heit wäre menschlicher. Und sie läge nicht im Interesse des Täters. Ich weiß es nicht und bleibe ratlos.