Schlagwort: Volkslieder

Mit Gesang auf Stimmenfang

Rettet die Volkslieder! Nein, keine Satire, keine Forderung aus dem Programm von Dieter Nuhr oder Volker Pispers oder Wilfried Schmickler. Auch nicht die Schnapsidee eines trunkenen Landtagshinterbänklers. Und keineswegs ein vorweggenommener Aprilscherz. J.R. hat sich dem deutschen Liedgut verschrieben. Rettet die Volkslieder, so lautet das neue Programm des (Noch-) Ministerpräsidenten im größten deutschen Bundesland. Jürgen Rüttgers will singen lassen. Die Lehrerschaft soll angehalten werden, im Unterricht wieder mehr Volkslieder zu singen,  Verlage sollen deutsches Liedgut in Büchern, CDs und PC-Spielen (?!) verbreiten. Was dahindümpelnde Umfragewerte so alles mit Politikerhirnen anstellen können. Der Mann, der einst mit der Losung “Kinder statt Inder” auf Stimmenfang ging und später gegen rumänische Arbeiter oder chinesische Investoren vom Leder zog, versucht es jetzt mit Gesang. Nun denn:

Links Heu und Klee, rechts Heu und Klee!
Die allerfettsten Weiden –
Dem Esel tut das Wählen weh,
er kann sich nicht entscheiden.
Er schnopert rechts, er schnopert links
und dreht sich dreimal um –
O Buridan, o Buridan,
was ist dein Esel dumm!

Rechts Gras und Korn, links Gras und Korn,
wie knurrt es ihm im Magen!
Und immer wieder geht’s von vorn,
er mag die Wahl nicht wagen.
So zwischen beiden bleibt er stehn
und fällt vor Hunger um –
O Buridan, o Buridan,
was war dein Esel dumm!

Links freie Presse, rechts Zensur,
links Wahrheit, rechts die Lüge –
Was stehen wir und grübeln nur
und haben’s nicht Genüge?
Wir horchen rechts, wir horchen links
und fragen fern und nah –
O Buridan, o Buridan,
wär’ doch dein Esel da!

Die Freiheit links, rechts Sklaverei,
wer könnt’ es sich verhehlen!
Wir aber stehn und stehn dabei
und wissen nicht zu wählen.
So sind wir doch weit ärger noch
und dummer noch fürwahr,
o Buridan, o Buridan,
als wie dein Esel war!

Text: Robert Eduard Prutz (1816-1872) – 1842
Musik: Oh Tannenbaum

“… mit kaltem Herzen ungerührt vorübergehn”

Was die – gescheiterte – bürgerliche Revolution von 1848 nicht alles so hervorgebracht hat. Ein in Vergessenheit geratenes Volkslied von Robert Eduard Prutz (1816 – 1872) beispielsweise. Prutz war Schriftsteller, Dramatiker und einer der profiliertesten Publizisten des Vormärz. Literaturwissenschaftler und Dichter, Dramaturg und Universitätsprofessor. Wegen seiner radikalen Ansichten politisch verdächtigt, zog er sich nach Jena zurück. Wegen seiner Kritik an der Zensur wurde er der Stadt verwiesen. Seine 1845 verfasste dramatische Satire “Die politische Wochenstube” brachte ihm eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung ein, die durch Alexander von Humboldts Vermittlung niedergeschlagen wurde. 1846 lehrte er in Berlin, war 1847 Dramaturg in Hamburg und 1849 bis 1859 außerordentlicher Professor für Literatur in Halle.

Hütet euch vor Liberalen
Die nur reden, die nur prahlen
Nur mit Worten stets bezahlen
Aber arm an Taten sind:
Die bald hier-, bald dorthin sehen
Bald nach rechts, nach links sich drehen
Wie die Fahne vor dem Wind.

Hütet euch vor Liberalen
Jene blassen, jene fahlen
Die in Zeitung und Journalen
Philosophisch sich ergehn:
Aber bei des Bettlers Schmerzen
Weisheitsvoll, mit kaltem Herzen
Ungerührt vorübergehn.

Hütet euch vor Liberalen
Die bei schwelgerischen Mahlen
Bei gefüllten Festpokalen
Turm der Freiheit sich genannt
Und die doch um einen Titel
Zensor werden oder Büttel
Oder gar ein Denunziant.

Robert Prutz – um 1848, gefunden auf der Seite “Volksliederarchiv”